Die Wiener Operntoilette – ein Nachruf

Das Jahr 2019 beginnt ohne musikalische Begleitung beim Pinkeln. Die "Opera Toilet" in der Wiener Opernpassage schließt wohl in der Form, in der man sie kennt, für immer ihre Klodeckel. Der Versuch eines Nachrufs auf eine WC-Anlage.
Viktoria Klimpfinger Aktualisiert am 02.01.2019
Opterntoilette schließt

Wien, Wien, nur du allein – pinkelst sogar im Dreivierteltakt. Wobei: Jetzt nicht mehr. Seit 1. Jänner 2019 ist es auch in Wien nicht mehr möglich, sich in einer öffentlichen Toilette zum Donauwalzer zu erleichtern. Die Operntoilette schloss am 1. Jänner 2019 für immer ihre Häusltür.

Walzer-Klo als Touristenmagnet

Ein letztes Mal rauschte ihre Spülung den menschlichen Abort gen Kanal, ein letztes Mal summte man beim Händewaschen den Walzer mit. Jetzt gehört sie zur Geschichte Wiens und seiner Verdauung, die Operntoilette. Und das, obwohl wahrscheinlich kaum ein Wiener jemals auf ihr sein Geschäft verrichtet hat. Höchstens, wenn es so pressierte, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, als in einer Schlange aus aufgeregten Touristen nervös vom einen aufs andere Bein zu hüpfen, bis man schließlich endlich 90 Cent zahlen durfte, um in protzigem Ambiente Wasser zu lassen. Die Wiener defäkieren wohl doch lieber in einem weniger kitschigen Setting, das ihnen die Klischees ihrer Stadt nicht auch noch beim Erleichtern unter die Nase reibt.

Doch egal, wie man in Wien selbst zur Operntoilette stand – Touristen hat man sie stets gerne und mit Stolz geschwellter Brust empfohlen. Vornehmlich denen, die Lust auf etwas „ein bissl Skurrileres“ hatten. Wobei allein schon der Regionalstolz auf eine öffentliche Kloanlage die schrullige Schrägheit dieser Stadt offenbart. Was muss man in der Innenstadt machen? Ganz klar: Ein Schnitzerl im Figlmüller, einen Kaffee im Hawelka und danach zum Austreten auf die Operntoilette. Klassisch. Touristisch. In Prag heißt es: „Probieren Sie unbedingt die Baumkuchen, die sind köstlich!“ In Paris heißt es: „Machen Sie auf jeden Fall einen Ausflug zum Eiffelturm!“ Und in Wien: „Gehen Sie unbedingt auf der Operntoilette aufs Klo, ein einmaliges Wasserlassen!“

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Eigenartige Beschallung der Opernpassage

Kaum gab es Eigenartigeres als an den quietsch-gelben Schildern der Operntoilette vorbeizuhuschen – kopfschüttelnd über die Touristen, die hier wirklich bereit waren, 90 Cent für ihren Stoffwechsel zu bezahlen. Und dann stand man da, auf der Rolltreppe, und zuckelte mit synthetischen Walzerklängen im Nacken zur Oper empor. Wie die Royals auf abgeranzt. Als wäre man für eine halbe Minute ganz woanders. Als würde man im Prater auf einem Ringelspiel sitzen und den Untertanen vom Holzpferd aus gnädig zuwinken. Und schwupps – war man schon wieder über der Erde und damit in der Realität angelangt.

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Sexismus beim Pinkeln

Doch die „Opera Toilet“, wie sie korrekt hieß, war nicht nur unbescholtene Attraktion für Touris und Stirnrunzelfaktor für hier Wohnende. Sie bot auf dem Männerklo wohl eines der ekelhaftesten Beispiele für Sexismus: Bei den Pissoirs zielte man für einige Zeit nicht in weiße Becken, sondern in Frauenmünder. Drei Jahre hatte es gedauert, bis dieser „Scheiß“ (Fäkalsprache sei hier ausnahmsweise mal erlaubt, geht’s doch bitteschön um Häusl-Politik) 2006 jemandem unangenehm auffiel und die anrüchigen Pissoirs wieder entfernt wurden. Das ist auf so vielen Ebenen falsch – deshalb wir so:

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Allgemeiner Aufschrei

Trotz dieses Eklats ist das Walzer-Häusl als Wiener Institution in den Köpfen verankert. Daran besteht kein Zweifel. Vielleicht gerade wegen seines Überquellens an klischeehafter Kitschigkeit, vielleicht weil der Wiener doch gern zumindest die Möglichkeit hat, in musikalischer Begleitung zu pinkeln. Jedenfalls wurden bereits im Mai, als die Nachricht des Häusl-Abdankens erstmals bekannt wurde, erstaunlich viele Stimmen laut, die sich für seinen Erhalt einsetzten. So wurde das Klo sogar kurz zum Politikum, als sich FPÖ-Klubobmann Anton Mahdalik zu Wort meldete: „Das Opern-WC ist eine Institution und muss unbedingt in der bestehenden Form erhalten bleiben.“

Einheitliches Pinkel-Ambiente

Genützt hat der allgemeine Aufschrei aber doch nichts: Am 1. Jänner hat der Pächter Gerhard Neuhold seine „Opera Toilet“ mit Trauermusik statt Walzertakt geschlossen. Sogar ein Kondolenzbuch habe es gegeben, erzählt er gegenüber „Wien heute“. Wie uns die MA 48 bestätigte, wird die WC-Anlage am 3. Jänner 2019 an die MA 48 übergeben und am 7. Jänner von den Wiener Linien übernommen. In der Zwischenzeit werden Umbauarbeiten durchgeführt. Die Stadt Wien kündigte den Pachtvertrag mit dem Klo-Betreiber, der sie im Jahr 2000 eröffnet hatte, weil die MA 48 eine neue WC-Strategie für Wien verfolgen will, berichtete die „Kronen Zeitung“. Einheitlicher soll das Erscheinungsbild der öffentlichen Klos werden.

Ob es das wirklich braucht beim Pinkeln – mehr Einheitlichkeit? Ist doch der Klogang eine der letzten Bastionen der Individualität. Alles teilen wir miteinander via Social Media: was wir essen, welchen Sport wir treiben, wo wir feiern. Aber die Toilette gehört uns nach wie vor ganz allein. Doch gerade deshalb müssen musikalische Pinkler auch nicht in tiefe Trauer um die Operntoilette verfallen: Im Notfall spielt man eben den Donauwalzer auf Youtube ab. Das zeigt schon: Die Operntoilette ist in Wahrheit überall. Und besonders in unseren Herzen. Und Blasen.

[arve url=“https://youtu.be/TNUY3nttWeE“ title=“Harlem Shake Opera Toilet“ description=“Opera Toilet Wien“ upload_date=“2.1.2019″ /]

Ihr wollt weitere aktuelle Stadtgeschichten? Der Wiener Eistraum bekommt dieses Jahr übrigens einen zweiten Stock. Wenn ihr die Stadt doch lieber erkunden als über sie lesen wollt, dann helfen euch unsere To Do’s weiter.

(c) Beitragsbild | bernhard.kenner | Instagram  

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