Benjamin von Stuckrad-Barres neuer Texte-Remix

Viktoria Klimpfinger Vom 12.03.2018
Am 8. März ist der neue Texte-Remix von Benjamin von Stuckrad-Barre erschienen: “Ich glaub, mir geht‘s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen.“ Er nimmt uns mit zu Treffen mit Freunden, Konzerten und Begegnungen aller Art. Aber immer alles ganz cool, ganz nüchtern. Das Motto: Nur mal kurz ausruhen.
Benjamin von Stuckrad-Barre: Remix 3

Gute 10 Minuten habe ich damit verbracht, mir von Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem dritten Texte-Remix „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen“ schildern zu lassen, wie er sich mit Familie Becker die Aufzeichnung des großen Wimbledon-Spiels 1985 ansieht. Da mir Boris Becker ungefähr genauso gleichgültig ist wie die meisten anderen Seitenblicke-Schlagwort-Namen, muss ich mich einfach fragen: Warum? Und warum hat es mir gefallen? Vielleicht weil Stuckrad-Barre total sympathisch Partei für den abgehalfterten Becker ergreift und ihn trotz aller Skandal-Performances im privaten Fernsehen entschlossen als Tennis-Helden feiert?

Obwohl ich mir nach der Becker-Nostalgie noch vollkommen unsicher bin, wohin mich Stuckrad-Barre mit der bunt zusammengewürfelten Sammlung an Texten aus den letzten Jahren  hinführt, kann ich das Buch nicht weglegen. Oder vielleicht genau deshalb: Ich bin neugierig, wie es nach einem Anfang mit Boris Becker denn weitergehen soll und kann. Nach ein paar Texten über Begegnungen mit Wegbegleitern und Idolen Stuckrad-Barres aus der Kulturecke – alle sehr eingängig, alle schön beiläufig aus dem Ärmel geschüttelt – finde ich mich plötzlich mit Stuckrad-Barre auf einem Madonna-Konzert. Die Mischung aus Verehrung und Skepsis gegenüber der Pop-Queen scheint mir auf Anhieb total sympathisch, das Aufmotzen des Textes durch ein liveticker-artiges Layout ist definitiv mal was anderes.

Hier wird gepoppt

Langsam dämmert es mir, warum mir im Zusammenhang mit Benjamin von Stuckrad-Barre immer wieder das Schlagwort Popliterat entgegenploppt. Poppig ist also nicht nur die Zuschreibung einiger voll hipper Feuilletonisten, für die Pop bereits Literatur ohne Schnörksel und Phrasendreschen ist. Nein, Popliteratur darf man hier anscheinend ernst nehmen. Auch ein später folgendes Lobgehudel auf Pharrell Williams’ „Happy“, womit mir Stuckrad-Barre auch gleich einen nachhaltigen Ohrwurm ins Gedächtnis hämmert, bringt echten Pop in die Popliteratur.

Dazwischen immer wieder literarische Schilderungen von Begegnungen mit Kunstschaffenden und ihrem Arbeitsprozess. Irgendwie schon fast ironisch also, dass ich jetzt darüber schreibe, wie Benjamin von Stuckrad-Barre darüber schreibt, wie er mit dem bereits verstorbenen Helmut Dietl an einem Drehbuch schreibt. Neben all dem Text gewordenen Namedropping bin ich plötzlich ungewohnt berührt, als Stuckrad-Barre seine letzte Begegnung mit dem Autor Walter Kempowski kurz vor seinem krebsverschuldeten Ableben schildert. Als „Vorruf“ betitelt er den Text, der eine Begegnung beschreibt, die sich bereits ihrer Stofftauglichkeit zum Nachruf bewusst ist. Nicht tragisch, nie dramatisch. Bloß ehrlich. Bloß mal hinlegen.

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Dazwischen ein bisschen Liebe

Dann wieder ein völlig anderer Posten am thematischen Spektrum, der komplett aus dem sonst eher ruhigen, coolen Rhythmus der Texte ausreißt: Eine Geschichte zweier Romantik-Verweigerer, die sich ihre Initialen tätowieren lassen. Einerseits irgendwie kitschig, andererseits aber genau das nicht. Bei all dem Beiläufigen ertappe ich mich selbst beim Schmunzeln und Denken: Schön, dass einer es heute noch mal hinkriegt, über die Liebe zu schreiben, ohne eklig-kitschig zu werden oder mir in zwei Sätzen den Glauben an die Liebe generell zu nehmen.

Vom Sinnieren darüber, ob Stuckrad-Barre mir echt ans Herz grapschen will oder das Ganze vielleicht doch nur gefinkelt-ironischer Konfrontationskurs mit meiner eigenen Kitschigkeit ist, plumpse ich in eine Liste von Fragen, die den 0815-Cluburlauber von Anfang bis Ende seines Aufenthalts auf der Sonnencreme ausschlittern lässt, wie zum Beispiel Frage 23: „Über welche Region Ihres Körpers denken Sie nach so vielen Tagen des Halbnacktherumlaufens jetzt anders als zuvor?“ Kurzes Aufprusten beim Gedanken an den letzten Sommerurlaub und meine unbeholfenen Bikini-Posen auf der sandüberzogenen Liege.

An anderer Stelle begleite ich Stuckrad-Barre wieder dabei, wie er einen Tag mit den verschlagen-verklärten Ex-Fernsehprediger und Wald-und-Wiese-Seelensalber Jürgen Fliege verbringt, der Erlösung via Fernseher an alte, gutgläubige Damen verschacherte: „Wir könnten ja eine Kerze anzünden, bietet er jetzt an, bei ihm koste doch angeblich alles so viel, aber das virtuelle Kerzenanzünden zum Beispiel, das sei gratis.“ Zwar frage ich mich immer wieder, was ich als Leser in diesen Situationen eigentlich zu suchen habe, warum ich plötzlich wie der unbeholfene Elefant im Kristallglasladen mitten im Raum stehe. Aber mit von der Partie bin ich doch gerne.

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Gesellschaft revisited

Und ganz so beiläufig, wie das alles auf den ersten Blick daherkommt, ist es ja auch wieder nicht. Immerhin porträtiert Stuckrad-Barre mit leichter Hand ja nicht nur ein paar gesellschaftliche Einzelexemplare, sondern durch sie auch die Gesellschaft an sich. Bei einer Montblanc-Preisverleihung macht er sich über das selbstgefällige Hochkultur-Publikum als „weitestgehend prädementes, operiertes Beverly-Hills-Volk“ lustig. Immer wieder gut, das selbstreflektierte Kunstszene-Bashing. Auch die Konfrontation mit der allgemeinen Technikhörigkeit ist zwar längst nicht mehr neu. Aber wenn er die für ARD-Moderator Jan Hofer lebensnotwendigen Blackberrys und iPhones als „Schweizer Taschenmesser der Jetztzeit“ bezeichnet, hört man sie immer wieder gern. Gibt sie einem doch für kurze Zeit das Gefühl, die bemitleidenswerten Technikzombies total reflektiert durchschaut zu haben. Kurze Pause – muss… Handy… anstecken.

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Das große Ganze oder vieles Kleines?

Seltsam, dass man sich bei so viel Ungekünsteltem, Unkonstruiertem plötzlich selbst einen tieferen, total kritischen Sinn zusammen philosophiert. Komme ich mit so viel blanker Realität in Buchform vielleicht nicht klar? Freue ich mich deshalb diebisch wie ein kleiner Streber, wenn Boris Becker oder Madonna nebenher in anderen Texten kurz wieder aufflackern? Oder sich der Satz „Es müssen sowieso viel, viel weniger Fotos gemacht werden“ im letzten Text auf den anderen bezieht, in dem Stuckrad-Barre gemeinsam mit Autor Ferdinand von Schirach über Venedig schimpft, unter anderem mit dem wahnsinnig treffenden Satz: „Wer hier fotografiert, fotografiert Fotografierende“?

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Bevor ich wie sämtliche leicht schräge Detektivfiguren beginne, mir die Zusammenhänge mit weißem Stift auf einer Glaswand aufzuzeichnen, watscht mich Stuckrad-Barre zurück auf den Boden. Im Porträt von Literat Jörg Fauser schreibt er: „Kürzlich las ich in einer paradeverblödeten Literaturkritik als Absage an den Realismus diese wunderbar hirnfreie Feststellung: ‚Alltag habe ich selber’ – und anschließend wurden sogenannte packende Thriller und sensibel aufgezäumte Beziehungsscheiße gelobt.“ Verdammt, erwischt. Voll auf die Zwölf. Das ist es also auch, worum es geht: Der Spannungsgeilheit, der Nervenkitzelmanie, der Es-muss-sich-doch-bitte-etwas-Bahnbrechendes-tun-hier-Idiotie einen bunten Text-Remix mitten ins Gesicht zu klatschen. Denn wer die Realität so lesenswert macht, braucht gar keinen Spannungsbogen. Schon allein der Titel deutet an, dass man sich ja einfach nur mal wo hinlegen will. Am besten mit Remix 3 in der Hand – wird sicher ein guter Abend.

Wer sich das Ganze lieber vom Meister selbst vorlesen lassen möchte, kommt am besten am 7. Dezember 2018 ins WUK. Dort macht Benjamin von Stuckrad-Barre nämlich mit seiner Remix-3-Lesetour Halt – und sicher gehörig Wirbel.

Was ihr bei der Gelegenheit sonst noch so in Wien anstellen könntet, findet ihr bei unseren To Do’s.