The first cut is the deepest

Marie Amenitsch Vom 14.03.2017

Verlassen werden tut weh. Was zum Erwachsenwerden wohl oder übel dazu gehört, versteht man erst so richtig, wenn man es am eigenen Körper – an der eigenen Seele, am eigenen Herz erfährt. Gleich vorweg, dies ist kein Ratgeber mit etwaigen Anleitungen, wie man über die verflossene Liebe hinwegkommt, viel mehr eine kleine Geschichte der ersten Liebe. Darüber, dass Lieben einfach verdammt wehtun kann. Vor allem dann, wenn vier Jahre mit einer nichtigen Facebook-Nachricht enden.

Unserem Kennenlernen folgte bald ein erstes Annähern, ein flüchtiges Lächeln, immer wieder, zwei Hände die sich schließlich zögernd fanden und sich ineinander verflochten. Ein Kuss, vorsichtig und immer fordernder, eine Welle der Gefühle, Glück, Verbundenheit, Vertrauen, sich jemandem öffnen und hingeben zu können.

Noch heute blicke ich mit einem solchen Lächeln an diese Zeit zurück und das Kopfkino lässt jeden romantischen Hollywoodstreifen vor Neid erblassen. Wir taumelten in harmonischer Eintracht durch die ersten Monate, entdeckten Gemeinsamkeiten, wuchsen an unseren manchmal gegensätzlichen Ansichten und erlebten, was es heißt, jemanden zu lieben – drei Worte, die meine ganze Welt auf den Kopf stellten. Dem Vorstellen der Eltern folgten die ersten Meinungsverschiedenheiten, ein Versöhnen und ein Akzeptieren, dass auch so etwas dazugehört und eine Liebe nicht immer nur eine Insel der Einigkeit ist.

Dennoch war sie dies den Großteil der Zeit und wir ließen niemanden unser Glück antasten, schirmten uns ab gegen die anderen und waren tagtäglich froh, einander zu haben. Im Rausch unserer Endorphine, in der kindlichen Naivität an ein „für immer“ haben wir uns einen „Notfallsplatz“ gesucht, an dem der jeweils andere zu finden sein sollte, falls je etwas passiert. Wir haben uns an den Händen gehalten und es in die Sterne geschrieben.

Mit der Zeit passierte dann jedoch das, was man wohl in so vielen Romanen und Erzählungen als „Einzug des Alltags“ bezeichnet. Wir verloren manchmal den Blick für das Besondere unserer Verbundenheit und wurden eingesaugt in diesen Sog des Miteinander-Seins, ohne die Bedeutung von diesem überhaupt zu erfassen. Doch jede Beziehung erlebt diese Downs, denen dann oft ein umso schönerer Neubeginn folgt. So war es auch bei uns, als wir unserer Heimatstadt schließlich den Rücken zukehrten, um in Wien mit unseren Studien zu beginnen und die neugewonnene Freiheit gemeinsam genossen. Alles war gut, wir waren glücklich – zumindest ich.

Ich weiß noch genau, wo ich war, als ich die Facebook-Nachricht öffnete, ganz verwundert beim Aufblinken der Nachricht, da wir seit unserer Anfangszeit eigentlich kaum via diesem sozialen Medium mehr kommuniziert hatten. Es war ein Wirrwarr aus Zeichen und Sätzen, mit dem vernichtenden Ergebnis, dass Du keine Gefühle mehr für mich haben würdest, mir diesen Umstand jedoch mit nichts auf der Welt erklären könntest „einfach da – einfach weg“.

Ich wollte und konnte nicht begreifen, kam es doch so unvorhergesehen, versuchte Dich zu erreichen, immer und immer wieder, wählte deine Nummer, stand vor deiner Haustür. Doch meine Bitte, mit mir zu reden, blieb unerhört, meine Anrufe unbeantwortet, meine Fragen ungeklärt und ich fiel in ein Loch aus Traurigkeit und Unverständnis.

Als ich am nächsten Tag aufwachte, warst Du nicht da. Die Betthälfte, die Du die deine zu nennen lerntest, war leer. Die ersten Minuten des Ungewiss-Seins zwischen Schlafen und Wachen wurden schon bald von einer Welle der Traurigkeit und des nicht Wahrhaben-Wollens abgelöst: Es ist aus. Erneut stellte sich die Macht von nur drei Worten unter Beweis, nur diesmal bewirkten sie das genaue Gegenteil als jene der drei, die zu dieser Zeit schon vier Jahre zurücklagen. Sie rissen mich im wahrsten Sinne des Wortes aus meinem Traum vom Glücklichsein, aus meinem Kokon der Geborgen- und Kindheit.

Wenn ich an diese Tage, Wochen, ja eigentlich Monate nun zurückdenke, liegt in meinen Erinnerungen eine Art Schleier über ihnen. Ich wollt okay sein, probierte es jeden Tag aufs Neue, versuchte meine eigene Traurigkeit am Elend der Welt zu messen, zu relativieren, was mir jedoch nicht wirklich gelang. Mit jedem Lied, das ich hörte, war eine Erinnerung verbunden, an die gemeinsame Zeit, an Dich. Selbst, als wir Monate danach endlich miteinander sprachen, fühlte ich mich hilflos und verloren. Versuchte dennoch hübsch und gefasst zu sein, um nur nach wenigen Minuten durch verheulte Augen und verflossene Wimperntusche in die Deinen zu blicken, die mir nach wie vor so vertraut waren.

Mit dem Versuch, Dich endgültig ziehenzulassen, packte ich am folgenden Tag all die Erinnerungsstücke, Geschenke und Fotos in eine Kiste, die ich hoch auf meinen Kleiderschrank verfrachtete. Die Mengen an Tränen, die ich im Jahr der Trennung weinte, hätten wohl gereicht, um mein altes Studentenheim einmal von oben bis unten durchzuputzen, Partyraum inklusive.

Als die Zeit ihr Übriges getan zu haben schien und ich schließlich zur Einsicht kam, dass nicht mehr Du es warst, den ich im tiefsten Inneren meines Herzens vermisste sondern vielmehr das Gefühl, das Du mir gegeben hast, wurde es leichter. Ich fing an zu vergessen. Du warst endlich nicht mehr der erste Gedanke am Morgen, ich wurde sauer – wenn auch weniger auf dich als auf mich selbst, dass ich mich von einem Menschen so sehr aus meiner Contenance bringen ließ. Genau diese Wut war es auch, die mich wieder zurück auf die Spur brachte. Ich konnte wieder Musik hören, entdeckte endlich das Gute an dieser, mir so unbekannten, Unabhängigkeit und akzeptierte schließlich, dass ich wohl nie eine Antwort auf das „Warum?“ bekommen würde.

Als die Tage endlich wieder länger wurden, schienen auch meine Lebensgeister nach und nach zurückzukommen, Du warst nicht mehr Mittelpunkt all meiner Gedanken. Auch in Gesprächen mit Freunden wurdest du nicht mehr so oft thematisiert, obgleich diese glaubten, ich sei schon längst über Dich hinweg. Wie es wirklich innerlich in mir aussah, wussten die Wenigsten. Immerhin hatte ich meine erste Liebe im wahrsten Sinne des Wortes verloren. Nicht zu wissen, wie es dir geht, was du machst, dir nichts mitteilen zu können, das war es, was mich so aus der Bahn geworfen hatte.

Der Notfallsplatz ist auch heute noch da, die Sterne selbstredend auch noch am Firmament. Nur das Wir nicht. Das Wir sind nun zwei Pronomen. Oder vielmehr nur ein Ich und die Vielzahl an Erinnerungen an das Du. Ein Du, an das ich mich nur noch spärlich erinnern kann. Das tut verdammt gut, denn so kann ich endlich mit einem Lächeln auf die gemeinsame Zeit zurückdenken und kann dankbar für unsere Begegnung und Beziehung sein.

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