Unser Senf: Warum die Debatte um die Zeitumstellung verschwendete Zeit ist

Viktoria Klimpfinger Vom 28.03.2019
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal fragt sich unsere Redakteurin, was die Debatte um die Zeitumstellung eigentlich soll.
Zeitumstellung

Flavor Flav wacht in seiner goldenen Bling-Bling-Bettwäsche auf, weil ihm sein Radiowecker die stereomotivierte Stimme des Morgenshow-Moderators unerbittlich entgegenbläst. Schlaftrunken schlägt er mit der flachen Hand ein paar Mal ins Leere, bis er endlich den Aus-Knopf des auf retro getrimmten Radios erwischt. Ein kurzer Augenblick herrscht ungewohnte Ruhe. Beiläufig fällt sein Blick auf die digitale Zeitanzeige des Radiodisplays. Und dann auf die überdimensionale Analog-Uhr um seinen Hals, die irgendwie aussieht, als hätte man einer Armbanduhr Steroide gefüttert. „Ach, verdammt“, seuzft er. „Ist wohl schon wieder so weit.“ Unwillig tapst er zu seinem Schrank, reißt die Türen auf und beginnt, umständlich an jeder einzelnen seiner riesigen Sammlung an Steroid-Uhren herumzuschrauben.

So oder so ähnlich stelle ich mir zweimal im Jahr die Leiden des Rappers Flavor Flav vor, würde er in Europa leben und seine Uhrenkollektion der Zeitumstellung unterwerfen. Denn jedes Mal, wenn ich wieder einmal alle analogen Uhren auf mein selbst umstellendes Handy anpasse, weil ich von Halbjahr zu Halbjahr vergesse, wann wir noch mal eine Stunde dazugewinnen und wann uns eine genommen wird, erhellt ein Gedanke meine Stimmung: Flavor Flav würde es viel härter treffen. Von genauso tiefschürfender Wichtigkeit wie Flavor Flavs Uhrensammlung ist für mich übrigens die Zeitumstellung selbst. Weil sie mir an 363 Tagen im Jahr so herzlich wurscht ist, geht mir das künstliche Aufhebens, das darum politisch und medial gemacht wird, umso heftiger auf den Zeiger. Ja, ganz genau: Das wird ein Text voller Grant und schlechter Uhren-Wortspiele, bracelet yourselves and watch out!

Von Wurschtigkeit zu What the Fuck?

Seit 1980 stellt ganz Österreich die Uhren am letzten Märzsonntag eine Stunde nach vorne, im Oktober eine Stunde nach hinten. Ursprünglich sollten die eine Sonnenstunde mehr im Sommer und die frühere Helligkeit im Winter beim Energiesparen helfen. Geklappt hat’s nicht wirklich, geblieben ist die Regelung doch. Für mich als eine von denen, die das chronologische Jahr nur inklusive Umstellung kennen, ist sie fast so etwas wie ein saisonaler Wecker: Mit der Zeitumstellung ist eindeutig die warme Jahreszeit oder die kalte Kuschelsaison eingeläutet.

Keine Sorge, verklärter als das wird’s nicht. Wäre auch irgendwie schräg, eine flammende Rede für etwas so Profanes wie die Umstellung der Uhren zu halten. Aber es muss ja auch nicht alles im Leben brennende Leidenschaft wecken, damit es nicht wegg’schaftelhubert wird. Im Gegenteil: Allein schon die Möglichkeit, sich alle halben Jahre herrlich und vor allem im Kollektiv über diese leidige Uhrenschrauberei aufzuregen, schweißt doch auch irgendwie zusammen, oder? Gibt es eine bessere Vorlage für Smalltalk als: „Am Sonntag ist Zeitumstellung, gö?“ „Jössas, danke, dass’S mich erinnern, des hätt i sonst glatt vergessen!“

Was ist schon Normalzeit?

Doch damit ist es bald vorbei: Am vergangenen Dienstag hat das EU-Parlament mit klarer Mehrheit für ein Ende der Zeitumstellung gestimmt. Laut einer nicht repräsentativen Online-Umfrage wünschen sich das viele EU-Bürgerinnen und -Bürger so. Also einige. Also manche. Denn online abgestimmt haben 4,6 Millionen Europäerinnen und Europäer. Bedenkt man, dass in Europa mehr als 500 Millionen Menschen leben, überwiegt also offenbar die Zahl all jener, die entweder kein Problem mit der Zeitumstellung haben oder denen sie – so wie mir – im Prinzip herzlich wurscht ist. Doch aus der prinzipiellen Wurschtigkeit wird schnell prinzipielle What-the-fuck-Manier, wenn man mit neuen Lösungen fuhrwerkt wie bei Pfusch am Bau und damit eine Sache, die eigentlich ganz gut funktioniert hat, komplett aus den Fugen reißt.

Denn dass die Zeit 2021 endlich dauerhaft festgenagelt werden soll, wurde zwar beschlossen. Ob man sich aber auf Sommer- oder Winterzeit festlegt, obliegt den Staaten selbst. Das macht allein dann Sinn, wenn man zwischen den symbolischen Landesgrenzen hin- und herhüpfen und dabei schreien will: „Schau mal, Kurt, jetzt ist Sommer, jetzt ist Winter!“ Jetzt ist Sendepause, Gabi. Denn schon wieder keine europäische, gemeinsame Lösung zu finden, würde bloß einmal mehr vom traurigen Trend zur nationalen Eigenbrötelei der einzelnen Staaten zeugen. Und jeder kocht sein eigenes Süppchen. Mal ganz abgesehen davon, dass mit der Entscheidungshoheit jedes einzelnen Staates über seine Normalzeit das Zeitchaos vorprogrammiert ist, besonders im Güter- und Personenverkehr.

Für immer Sommer

Dabei gäbe es für das ganze Dilemma eine einfache Lösung. Schiedsrichter wäre wie so oft die Wissenschaft: Eigentlich richtet sich unser chronobiologischer Rhythmus nicht nach dem Weckerschrei sondern naturgegeben nach Licht und Dunkelheit. Weil die künstliche Umstellung des eigenen Rhythmus alle halben Jahre manche Menschen tatsächlich auf die eine oder andere Weise beeinträchtigt – von Konzentrationsstörungen bis Depressionen –, plädieren Wissenschaftler schon länger für ihr Ende. Allerdings wäre aufgrund der natürlichen Lichteinflüsse die Winterzeit für unseren Schlaf-Wach-Rhythmus am günstigsten, sagt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin Alfred Wiater gegenüber dem Standard. Herrscht die Sommerzeit, müsse man laut Chronobiologe Till Roenneberg an deutlich mehr Tagen aufstehen, obwohl es draußen noch längst nicht hell ist. Die Wahrscheinlichkeit für Diabetes, Depressionen, Schlaf- und Lernprobleme sei dadurch auf Dauer erhöht. „Das heißt, wir Europäer werden dicker, dümmer und grantiger.“

Österreich hat sich bereits tendenziell für die Sommerzeit ausgesprochen. G’fährlich: Noch mehr Grant und die Wiener explodieren in lauter kleine Grantscherben. Aber packen wir die Scherzerln mal wieder in den Brotkorb: Im Prinzip wolle man sich bei dieser Entscheidung vor allem an Deutschland und Italien halten, alles andere wäre absurd, meint Vizekanzler Strache. Man wolle eine gemeinsame Lösung innerhalb der EU suchen.

Ablenkungsmanöver auf Zeit

Doch egal ob sich nun alle Mitgliedstaaten auf eine Uhrzeit einigen, jeder seine eigene Normalzeit wählt oder wir im Endeffekt doch beschließen, dass Zeit sowieso nur relativ ist und wir nach unserer ganz persönlichen inneren Morgenshow leben sollten – schon jetzt wurden mit dieser ganzen Diskussion Zeit und Ressourcen auf ein Thema verschwendet, dessen Wichtigkeit bis zur Durchsichtigkeit verblasst angesichts der zahlreichen anderen weitaus größeren Hürden und Konflikte, mit denen sich die EU konfrontiert sieht.

Statt zum Beispiel etwas mehr Bedacht und Expertise bei der Urheberrechtsreform zu fordern, mit fester Stimme dem fortschreitenden Rechtsruck entgegenzuschreien oder die lasche Klimapolitik entschieden und vereint anzuprangern, sollen wir uns plötzlich fragen: Wer hat an der Uhr gedreht? Als würde man uns – oder zumindest den 4,6 Millionen Europäerinnen und Europäern, die scheinbar ein massives Problem mit der Zeitumstellung haben – ein Stöckchen hinwerfen, an dem wir eine Zeitlang kiefeln sollen. So ein Braver.

Und plötzlich hallt Flavor Flavs Paradespruch wie ein gesellschaftskritisches Manifest nach: „You know what time it is!“ Oh do we, Flav?

Lasst euch lieber von uns zerstreuen und lest euch durch, warum unsere Redakteurin ein Problem mit Smalltalk hat. Oder ihr erweitert eure To-Do-Liste um einige unserer coolen To Do’s.

(c) Beitragsbild | Malvestida Magazine | Unsplash


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