Unser Senf: Warum mir die Faceapp irgendwie unheimlich ist

Viktoria Klimpfinger Vom 18.07.2019
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Diesmal macht sich unsere Redakteurin ein paar Gedanken über den aktuellen Hype der Faceapp.
Faceapp

Vor ein paar Tagen scrolle ich wieder einmal meine Facebook-Timeline durch, auf der Suche nach nichts Bestimmten, als mir plötzlich das neue Anzeigebild einer ehemaligen Schulkollegin ins Auge sticht, mit der ich längst keinen persönlichen Kontakt mehr habe. Nur ist darauf nicht sie zu sehen, sondern eine alte Frau, die ihr verdammt ähnlich sieht. Kann das sein? Sieht sie ihrer Großmutter dermaßen gleich? Oder ist es doch sie selbst, die vielleicht an einer seltenen, Benjamin-Button-mäßigen Hautkrankheit leidet? Sollte ich mich mal wieder bei ihr melden und sie fragen, ob sie Beistand in dieser schweren Zeit braucht? Als ich schon kurz davor bin, zum Hörer zu greifen, kommentiert jemand das Bild mit: „Wow, wie macht ihr das alle?“ Und sie antwortet: „Faceapp“.

Vintage im Gesicht

Ups, da hatte ich wohl wieder mal etwas nicht mitbekommen, das in den sozialen Medien herumflattert. Momentan ist es offenbar total in, sein Gesicht um Jahrzehnte altern zu lassen. Hätte man uns 90er-Kindern vor ein paar noch gesagt, dass man uns zeigen könnte, wie wir mit 80 aussehen werden, hätten wir wahrscheinlich verächtlich gelacht und weiter per App mit unserer Katze die Gesichter getauscht. Das hier, das ist also next level, weil viel realistischer als manche Versionen davor. Denn: „Die App nutzt neuronale Netzwerke, um zu erraten, wo Falten auftauchen werden, wo das Gesicht schlafft und wie die Haare im Alter aussehen, wenn sie grau werden.“ Und nicht nur das. Es entspricht außerdem gleich zwei Trends unserer Zeit: der Vintage-Welle einerseits, dem No-Make-Up-Look andererseits – #nofilter, nicht!

Gruseliger Blick in die Zukunft

Nicht nur, dass ich extrem lange gebraucht habe, bis ich nicht mehr bei jedem Faceapp-Bild kurz über die familiären Ähnlichkeiten meiner Facebook-Freunde mit ihren Großeltern staune oder überlege, warum der sonst echt attraktive Typ auf Tinder plötzlich ein Bild von seinem Opa hochgeladen hat. Nein, die Faceapp ist mir auch aus einem anderen Grund unheimlich: Mit jedem neuen Seniorenbild meiner Freunde erinnert sie mich viel zu realistisch daran, dass die Zeit unsere Visagen in Zukunft auch im echten Leben zerknittern wird und ich in 50 Jahren vielleicht in genau diese Gesichter starren werde, die wir heute des Scherzens halber auf Facebook und Instagram posten.

Gruselig, der Blick in die Zukunft. Und dann kommt die Panik: Mein erstes Vierteljahrhundert auf dieser Erde ist bereits verflogen, die Zeit rennt, der Sommer ist fast vorbei, bald ist wieder Weihnachten. Pensionsvorsorge und Zahnersatz sind nur ein Augenblinzeln entfernt und dann wandere ich über den Friedhof und suche mir schon einmal sicherheitshalber ein Grab aus – Schnappatmung, Hyperventilation, Ohnmacht.

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Das Alter zwischen Technopartys und Hochzeitsfeiern

Okay, dass eine eigentlich ganz lustige Sache wie die Faceapp mich in Zukunftsängste und düstere Monologe über unsere Vergänglichkeit stürzt, hat wohl weniger mit dem Phänomen selbst als vielmehr mit meinem neurotischen Gemüt zu tun. Aber haben wir Mitte 20, gerade der Quarterlifecrisis entkommen oder vielleicht noch mittendrin, nicht doch ab und zu die immer gegenwärtiger werdende Zukunft im Nacken? Denken wir nicht tatsächlich verstärkt darüber nach, ob wir in zehn Jahren lieber in einem Haus am Stadtrand oder einem Appartement innerstädtisch sitzen wollen? Wie die Pflanzen, die wir uns Jahr für Jahr für den Balkon kaufen, doch länger als eine Saison überdauern könnten? Und dass es mittlerweile vielleicht kein Drama mehr wäre, wenn sich Nachwuchs ankündigt?

Erschütternde Nachricht: Wir sind tatsächlich alt geworden. Vielleicht nicht so alt, wie uns die Faceapp weismacht, aber reifer als noch vor ein paar Jahren vorstellbar. Es ist das Alter, in dem wir uns zwar redlich bemühen, auf der Tanzfläche abzufeiern, es aber dafür noch drei Tage später bereuen. In dem wir jeden Sommer auf fünf Hochzeiten gehen und so viele Babys halten müssen, wie noch nie zuvor. Das Alter, in dem wir Wege einschlagen, die wir nicht mehr ohne Weiteres zurückgehen können. Das kann einem schon mal das Blut in den Adern stocken lassen, ob dank einer Faceapp oder beim Beäugen der ersten tatsächlich permanenten Lachfalten im Spiegel. Sie kommen früher oder später – so viel ist sicher.

Am Altern ist natürlich nicht alles schlecht, im Gegenteil: Manchmal ist die Liebe sogar gerade dann am schönsten. Darf’s noch ein bisserl mehr Senf sein? Unsere Redakteurin hat sich ein paar Gedanken gemacht zur Kommunikation zwischen den Generationen.

(c) Beitragsbild | Cristian Newman | Unsplash