Unser Senf: Warum ich nicht auf die Wiener Wiesn gehe

Viktoria Klimpfinger Vom 11.10.2019
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum sie sich nach dem Münchner Oktoberfest nicht mehr auf die Wiener Wiesn traut.

Warum ich die Wiener Wiesn meide? Ganz einfach: Ich habe bereits Bekanntschaft gemacht mit ihrem dauerbesoffenen, rülpsenden großen Bruder – der Münchner Wiesn. Und wenn das Original schon anstrengend und grauslich ist, warum dann in anderen Städten und Ländern fortpflanzen?

Vergleichswert München

Vor zwei Jahren um diese Zeit bin ich für ein Praktikum zwei Monate nach München gezogen. „Da haste dir aber ne tolle Zeit ausgesucht“, murrten meine Kolleginnen und Kollegen schon Anfang September. Erst als die ersten dummdreist-grinsenden weil betrunkenen Wiesn-Touris eintrudelten, wusste ich, was sie meinten. Eigentlich wurde mir das gesamte Ausmaß des Spektakels erst bewusst, als mein Zug aus Wien, wo ich übers Wochenende auf Heimatbesuch war, im Münchner Bahnhof einfuhr.

Draußen war lauter Trubel, also blickte ich aus dem Fenster. Was ich da sah, war so süß wie skurril: Eine ganze Blaskapelle begrüßte einen offenbar aus Wien angereisten Umtata-umtata-Kollegen genau damit: mit umtata-umtata. Endlich ausgestiegen und adjustiert, gesellte er sich dazu und die Horde zog brachial-trötend Richtung Bahnhofsausgang. Es hat schon fast etwas Niedliches, wenn Männer fortgeschrittenen Alters mit hochrotem Kopf und Wangen, die kurz vorm Platzen sind, in Zweierreihe Krach machen. Aber U-Bahnen voller beschwipster Trachtenpärchen zu jeder Tages- und Nachtzeit werden auf die Dauer dann doch ermüdend.

Kotzen im Akkord

Die Münchnerinnen und Münchner selber stehen meiner Erfahrung nach so gespalten zum Oktoberfest wie die Wienerinnen und Wiener zum Opernball: Die einen finden’s super und schmeißen sich in ihre schickste Lederhose, die anderen schauen entweder, dass sie für die paar Wochen einen Urlaub buchen oder verbarrikadieren sich zuhause. Denn seien wir uns mal ehrlich: Das Oktoberfest – egal ob in München oder in Wien – ist doch für die meisten nur eines: ein willkommener Vorwand zum Saufen, bis man speibt.

Doch bevor jetzt die flammenden Wiesn-Besucher unter euch versuchen, mich mit angespitztem Bierglas zu lynchen, bedenkt eines: Ihr seht mich wahrscheinlich doppelt. Und noch eines: Auf der Münchner Wiesn gibt es einen Kotzhügel. Zumindest nennt ihn der Volksmund so. Und wo es einen Kotzhügel gibt, wird nun mal gespieben. Viele Rudelkotzer schlafen nach ihrer innerlichen Verausgabung erschöpft neben ihrem Mageninhalt ein. Da denkt man schon ernsthaft darüber nach, nie wieder Bier zu trinken.

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Mein Outfit-Fauxpas

Denn vom Rudelsaufen nehme ich mich ja nicht aus, um Himmels willen! Immerhin bin ich Generation Binge und treibe so gut wie alles zum Exzess. Leider habe ich nur auf der Münchner Wiesn keinen Rausch zusammenbekommen, mit dem das alles wahrscheinlich um vieles erträglicher, ja vielleicht sogar lustig gewesen wäre. Ich war deshalb nüchtern, weil ich generell nicht richtig vorbereitet war. Der Verlobte einer Bekannten von mir feierte in einem von diesen superteuren Zelten, die von innen meiner Meinung nach alle gleich ausschauen, weil sie bis oben hin gefüllt sind mit Menschen in Tracht und Krügen mit Bier. Im letzten Moment sagte jemand ab und ich durfte einspringen, weil das Ticket fürs Zelt schon bezahlt war.

Wenn man mich aber Freitag um 17 Uhr anruft und irgendwo hinzitiert, trage ich normalerweise keine Tracht. Auch wenn ich generell eine Dirndlverweigerin bin, hätte ich mich gerne nach der Arbeit noch umgezogen und wäre vielleicht in etwas Partytauglicheres als mein Arbeitsoutfit geschlüpft: schwarzes Sackkleid über verschlissener Leggings, der Klassiker. Ein Quickchange war aber nicht drinnen, da dieses verdammte Ticket nur bis spätestens 18 Uhr gültig war und ich quer durch das zu dieser Zeit schon leicht versoffene München musste.

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Ein Zelt voller Meister Eders

Pfeif drauf, dachte ich mir. Ich bin eine selbstbewusste, moderne Frau, die voll und ganz mit sich im Reinen ist. Niemandem muss ich Rechenschaft darüber ablegen, was ich anhabe. Halbwegs gestärkt von diesen Motivationsreden an mich selbst kreuzte ich also beim Oktoberfest auf. Meine gestresste Freundin zieht mich am Handgelenk durch die Massen. Noch zwei Minuten wäre das Ticket gültig, dann würde ich nicht mehr reingekommen. Punktlandung!

Stolz und ganz schön verschwitzt entere ich also das Zelt und habe inzwischen längst die Sorge um mein Outfit vergessen. Als plötzlich alle Augen an unserem Tisch schockiert auf mich gerichtet sind, fällt sie mir aber sofort wieder ein. In meiner Erinnerung war es sogar so, dass aus unerfindlichen Gründen plötzlich die Andreas-Gabalier-CD – ja, den packen sie bei sowas auch in München aus – verstummt, Grillen zirpen und Pumuckls Meister Eder mich kopfschüttelnd ansieht. Okay, ganz so schlimm war’s auch nicht, aber unter weit ausgeschnittenen Dirndln und ausgeleierten Lederhosen sah ich in meinem schwarzen Sack doch irgendwie aus wie Gevatter Tods Gehilfin.

Leider nüchtern, leider zach

Genauso wenig, wie ich mein Outfit anpassen konnte, konnte ich mir vor meiner Ankunft Gedanken über geeignete kulinarische Unterlage für das ganze Bier machen, das ich hier sicher trinken würde. Mit anderen Worten: Ich hatte verdammt großen Hunger. Also schaufelte ich mir einen Schweinsbraten ins Gesicht und anschließend noch ein bisschen was von der Ente, die meine Freundin nicht aufessen konnte. Wahrscheinlich schnürte ihr das offenherzige Dirndl den Magen ab.

Jedenfalls erklärt mein Binge-Eating, warum mein Binge-Drinking nicht den gewünschten Output hatte. Als mir dann auch noch ein ziemlich fragwürdig schwankender Typ vor den Toiletten ein bisschen LSD anbot, war ich sogar kurz versucht, mich wegzuballern. Hey, don’t judge me! Sitzt ihr doch mal zwei Stunden stocknüchtern in Hipster-Uniform unter lauter betrunkenen, bedirndelten Vollbayern, die alle zwei Songs auf die Bänke hüpfen und dich zum Mitschunkeln hochreißen, bis sie sich wieder erinnern, dass du ja die Eigenartige im schwarzen Stoffsack bist, und desinteressiert von dir ablassen, sodass du nicht weißt, ob du alleine auf der Bierbank stehen bleiben oder dich doch lieber alleine wieder hinsetzen sollst. Da würde wohl jeder harte Drogen in Erwägung ziehen.

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Tschüss Hemmungen, hallo unangenehme Atmo

Gemacht habe ich es dann doch nicht und haben mich stattdessen zur Sperrstunde, die lächerlicherweise schon um 23 Uhr ist, vom stinkenden, betrunkenen Menschenknäuel Richtung S-Bahn schieben lassen. Links und rechts war der Weg gesäumt von pissenden, kotzenden und vögelnden Trachtenpärchen – nicht unbedingt in der Reihenfolge. Diese hemmungslose Hingabe an die niederen Gelüste befürworte ich ja absolut, immerhin ist doch der kleinste gemeinsame Nenner aller Menschen, dass wir doch einfach nur eine gute Zeit hier haben wollen. Aber die gute Zeit für manche wird aus meiner Perspektive auf der Münchner Wiesn leider zur beklemmenden Zeit für andere. Denn selbst kaum illuminiert und daher klare Außenseiterin, kam mir die Stimmung immer aufgeheizter und aggressiver vor, je später es wurde. Keine Spur von entspanntem Kollektivsuff Marke Festival, sondern eher eine Art von unangenehmem Dauerbalzen und kippender Gruppendynamik.

Tiefe Griffe ins kollektive Gegrunze wie „Prost, ihr Säcke!“ oder „Zur Mitte, zur“… eh schon wissen, kriegt man schon gar nicht mehr wirklich mit. Immerhin gehören sie auf solchen Festeln scheinbar zur Umgangssprache. Auch an den Trachtenüberschuss gewöhnt sich das Auge mit der Zeit. Und irgendwann hinterfragt man sich dann selbst: Wieso habe ich eigentlich so einen Grant auf Dirndln und Lederhosen? Achja, weil sie für den einen oder anderen zum Symbol für Heimattümelei und romantisierten Patriotismus geworden sind. Doch schon Hubert von Goisern sagte ja: „Zieht den Rechten die Lederhosen aus!“ Also nicht wortwörtlich, das würde am Oktoberfest bei manchen eher Missfallen auslösen, sondern metaphorisch: Holt die Tracht aus dem rechten Eck zurück und macht sie wieder für alle tragbar! So gesehen ist es ja eigentlich ganz gut, wieder vermehrt Tracht zu tragen, quasi als textiler Protest. Ob der aber auch ankommt bei denen, die er treffen soll?

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Ein hoher Preis für die Würde

Das sind die Gedanken, die man sich so macht, während neben einem jemand sturzbetrunken mit der Lederhose an einem Fahrrad hängenbleibt. Am meisten dachte ich mir auf der Münchner Wiesen aber vor allem eines: Wieso sind dermaßen viele Menschen bereit, so hohe Preise für einen Krug voll Bier zu bezahlen, noch höher werden die Preise, bedenkt man, dass man oft am Ende des Abends die eigene Würde als Trinkgeld drauflegt. Immerhin kostet eine Maß dieses Jahr zwischen 10,80 und 11,80 Euro.

In Wien war sie letztes Jahr mit 10,10 Euro um grandiose 60 Cent günstiger. Generell dürfte es in der österreichischen Hauptstadt etwas gesitteter zugehen als bei dem Oktoberfest, das ich in München miterlebt habe. Dennoch: Ich habe Dinge gesehen! Und ähnliche, wenn auch bravere Dinge in meiner Heimatstadt zu sehen, würde bei mir vielleicht die eine oder andere posttraumatische Belastungsstörung auslösen, wer weiß. Also nein, Wien, ich streike. Dein Oktoberfest kannst du ohne mich feiern. Wobei gerade untertags ein Besuch in beiden Städten wohl nicht verkehrt ist. Denn bei Tageslicht und mit weniger Promille wirkt das Ganze fast wie ein züchtiger, familienfreundlicher Jahrmarkt. Bis der Blick unabsichtlich wieder den Kotzhügel streift…

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Ihr glaubt mir nicht, dass die Münchner Wiesn heftig ausarten kann? Dann überzeugt euch auf www.muenchenkotzt.de davon. Wenn ihr statt grauslichen Fotos lieber mehr von unserem hausgemachten Senf wollt, dann lest nach, warum Wien für uns tatsächlich die lebenswerteste Stadt ist.

(c) Beitragsbild | Pixabay