Unser Senf: Wie mich eure Verschwörungstheorien ankotzen

Viktoria Klimpfinger Vom 08.05.2020
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal macht unsere Redakteurinnen ihrer Wut auf die haarsträubenden Corona-Verschwörungstheorien Luft.
Verschwörungstheorien

Ich mach mir die Welt, wie-de, wie-de, wie sie mir gefällt. Pipi Langstrumpf hat es vorgemacht, Typen wie Donald Trump haben es zu ihrer politischen Strategie auserkoren. Dass sich manche Populisten Kommunikationsmodelle von einem wahnhaften Kind abgeschaut haben, würde nur zu gut das Maß an Trotzigkeit erklären, das sie als erwachsene Menschen aufbringen, sobald etwas nicht so rennt, wie es ihnen passt. Dann war es nämlich nicht ihr Fehler, sondern ganz sicher das Komplott einer großen Weltverschwörung. Aber leider ist das bei Weitem nicht so putzig, wie es klingt. Wenn Lügen oder Unwissen zu „alternativen Fakten“ upgegradet werden, wird es ganz schnell gefährlich – und im Nu trinken manche Menschen Bleichmittel.

Meinung ist nicht gleich Wahrheit

Fakt ist: So etwas wie alternative Fakten gibt es nicht. Ein Fakt ist ein Fakt, weil er ein Fakt ist – und eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Und wenn ich noch einmal auf Facebook das Bild der beiden Menschen ausgespielt bekomme, die an den beiden Enden einer Zahl stehen, die entweder ein Sechser oder ein Neuner sein könnte, und unter denen steht: „Dass du recht hast, bedeutet nicht, dass ich unrecht habe“, dann zünde ich das Internet an. Denn das Bild zeigt nicht zwei unterschiedliche Wahrheiten, sondern nur zwei unterschiedliche Meinungen. Und Meinung ist nicht gleich Wahrheit – das wiederum ist ein Fakt, den jeder und jede von uns mehrmals am Tag mantramäßig vor sich hinmurmeln sollte, während wir unsere Social-Media-Feeds durchscrollen.

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Fakten sind nicht immer einfach

Gerade die gehen nämlich momentan über vor obskuren Alternativtheorien über das Corona-Virus. Ich bin schlichtweg schockiert darüber, wie viele Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker ich offenbar in meinem Online-Bekanntenkreis habe, die jetzt plötzlich aus der virtuellen Dunkelheit treten und mit Stolz geschwellter Brust erklären, sie wüssten, wer in Wirklichkeit hinter diesem Virus steckt: 5G-Masten, Bill Gates, eine nicht näher definierte Elite – oder doch die Illuminati? Die meisten eint aber vor allem die Überzeugung, dass die Corona-Krise nicht mehr ist als eine blanke Lüge. Ist die erste Welle der Solidarität abgeflaut, werden immer mehr der Maßnahmen müde und suchen fieberhaft nach einem Ausweg, oder zumindest einem Schuldigen.

Und das nicht, weil sie das Weltgeschehen röntgenhaft durchblicken. Sondern weil es einfacher ist – greifbarer als ein unsichtbares Virus, das keiner sieht. Es ist viel einfacher, ein paar Minuten einem dubiosen Weltverschwörungsprediger auf YouTube zuzuhören, als wissenschaftliche Artikel zu lesen und Fakten gegenzuchecken. Es ist so viel einfacher, allem Glauben zu schenken, was verstrahlte Typen wie Xavier Naidoo so von sich geben, als sich Diskussionsrunden mit echten Expertinnen und Experten im Fernsehen zu geben. Was kann schon schiefgehen, wenn man einem Reichsbürger-Sympathisanten, der in den vergangenen Jahren so viel verworrene, rassistische und rechte Dinge abgesondert hat, dass ihm 2014 bereits Das Goldene Brett vorm Kopf verliehen wurde, eine Bühne gibt? Alles. Alles daran läuft schief.

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Drastische Konsequenzen

Jetzt könnte man sich natürlich ganz entspannt zurücklehnen, bis sich das Ganze irgendwann selbst ad absurdum führt. Aber Verschwörungstheorien verpuffen eben oft nicht einfach so. Es liegt in ihrer Natur, die Leichtgläubigen, die Beeinflussbaren, die Trotzigen zu mobilisieren. Tragischstes Beispiel dafür, welches horrible Ausmaß ihre Konsequenzen annehmen können, sind die antisemitischen Verschwörungstheorien, die zum Holocaust beigetragen haben – und in manchen Kreisen immer noch kursieren, begleitet mittlerweile von Verschwörungstheorien über den Holocaust selbst.

Eulen nach Amstetten

Aber, und das ist das Frustrierende daran, mit solchen Argumenten trägt man Eulen nach Athen, oder maximal bis Amstetten, denn weiter als bis zu denjenigen, die das ohnehin ganz ähnlich sehen, kommt man damit nicht. Das feste Fundament der Haltung der Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker besteht ja vor allem aus der Überzeugung, dass sie die einzig Sehenden in einer Gesellschaft voller Blinden seien. Dass sie erkannt haben, was andere aufgrund ihrer Hörigkeit den Verschwörenden gegenüber gar nicht erkennen können. Und dass sie die, die dieser Gehirnwäsche gnadenlos erlegen sind, erst aufrütteln müssen. In ihrer Wahrnehmung hat man also jede Art von Glaubwürdigkeit eingebüßt, sobald man sich auf gängige wissenschaftliche Theorien und Fakten beruft – auch wenn diese Theorien und Fakten viel schlüssiger sind als ihre eigenen, konstruierten.

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Ich kann nicht nichts dazu sagen

Dennoch lasse ich mich in letzter Zeit immer wieder auf solche Diskussionen ein, obwohl ich eigentlich ein Mensch bin, der sonst höchstens in Form von Emojis auf Instagram-Storys und Ähnliches reagiert. Und plötzlich sehe ich mich in einer Position, die mir fast noch mehr die Haare zu Berge stehen lässt, als die obskuren Theorien selbst: Ich werde als Sebastian-Kurz-Jüngerin abgestempelt. Und das ist ein Low-Kick in die Weichteile meines politischen Selbstverständnisses. Aber meine persönliche politische Ausrichtung tut weder hier in diesem Text noch in der Diskussion um die Corona-Krise etwas zur Sache. Denn ich berufe mich dabei nicht auf demütiges Belobhudeln der Regierungsstrategien und es geht auch nicht um Panikmache, sondern schlichtweg um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Situation – basierend auf der Einschätzung renommierter wissenschaftlicher Expertinnen und Experten. Sie sind es, auf die wir hören sollten. Und damit meine ich nicht die selbsternannten Virologinnen und Virologen, die auf den Social Media herumgurken. Checkt man nur flüchtig ihren Background, hat man sie ziemlich schnell entlarvt.

Aber eigenmächtige Faktenchecks passen nun einmal nicht ins Profil der schnappatmenden Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker. Also versuche ich es in einem zweiten Schritt eben mit Mitgefühl. Nicht für meine flammenden Gegenparts natürlich, sondern für all jene, die jemanden aufgrund des Virus verloren haben, für all jene, die in den Krankenhäusern Endlosschichten schieben und sich immer wieder mit ohnmächtigen Appellen an uns wenden. Ihnen sollten wir Gehör schenken und Solidarität bekunden. Ihren existenziellen Einsatz für unsere Gesellschaft zu diskreditieren, indem man den Grund dafür leugnet, ist – ich kann es nicht anders formulieren – das Letzte.

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Die neue Gretchen-Frage?

Natürlich greift aber auch dieses Argument bei den meisten nicht nachhaltig und die Diskussion verebbt in trotzigem Schweigen. Also spiele ich das Spielchen spaßeshalber ein bisschen mit und spinne es weiter: Wenn die Corona-Krise für manche zur Glaubensfrage wird, dann sollten wir sie vielleicht auch behandeln wie eine: Wenn du selbst an Verschwörungstheorien glaubst, dann ist das deine Sache. Also behalte sie am besten für dich und versuche nicht, anderen deinen Glauben aufzuzwingen. Und zieh dir trotzdem eine verdammte Maske über, wenn du einen Raum betrittst – wenn schon nicht aus Überzeugung, dann zumindest aus Respekt den „Andersgläubigen“ gegenüber, die die Corona-Krise ernst nehmen. Denn sie und ihre Angehörigen mit dem Appell an die persönliche Freiheit zu gefährden, das hat rein gar nichts mit Freiheit zu tun, sondern bloß mit Egoismus.

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Wir haben übrigens auch mit Menschen aus Corona-Risikogruppen über ihre Situation gesprochen. Und wir zeigen euch einige seriöse Medien, bei denen ihr euch gratis informieren könnt.

(c) Beitragsbild | Pixabay