Unser Senf: Warum es vollkommen okay ist, Mitte 20 single zu sein

Pia Miller-Aichholz Vom 01.02.2020
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Diese Woche erklärt unsere Redakteurin, wieso es unnötig ist, sie für ihr Singledasein zu bemitleiden.
Seestern allein am Seegrund

Ich bin Mitte 20 und single. In meinem Alter hatte meine Mutter bereits ein Kind – mich – und ein weiteres auf dem Weg. In der mentalen Themenbox für Konversationen mit Frauen in meinem Alter findet sich in den Smalltalk-Charts unter den Top Drei die Frage: „Und, wie schaut’s aus in der Liebe?“ So oder so ähnlich. Darauf ich seit fast zwei Jahren: „Tut sich nicht viel.“ Die Top Drei der darauf folgenden Reaktionen: Häufig werde ich mit einem mitleidigen Blick und einem verlegenen Lächeln beschenkt – danke dafür. Manchmal folgt ein verbales Schulterklopfen, in etwa lautend: „Oh, oje, aber da kommt bestimmt bald wer.“ Die absurdeste Reaktion ist meiner Ansicht nach aber, wenn mein Gegenüber die Augen aufreißt, als wäre das die Überraschung des Jahrhunderts, und sagt: „Ein Mädel so hübsch und g’scheit wie du? Wie gibt’s denn das?“ Aha, darauf kommt’s also an. An dieser Stelle möchte ich gerne das wortgewandte kommunistische Känguru von Marc-Uwe Kling zitieren. Hübsch? G’scheit? „Das sind ja bürgerliche Kategorien!“ Abgesehen davon: Danke für die Blumen, aber es gehören immer zwei zu einer Beziehung. Jemand anderer muss wollen und – nachdem das Leben zum Glück keine Herrenwahl in der Tanzschule ist – vor allem muss ich wollen. Jedenfalls ist meine Situation weder ungewöhnlich noch automatisch ein Grund zur Sorge oder für Bedauern.

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In meinem Boot sitzen viele

Nicht nur ich führe solche oder ähnliche Unterhaltungen. Meine beste Freundin ist vergangenes Jahr 30 Jahre alt geworden und ist schon länger single. Auf ihrer Geburtstagsfeier wurde sie von Verwandten gefragt, ob sie denn einen Freund hätte. „Endlich“ wurde nicht ausgesprochen, war aber impliziert. Nein, hat sie nicht. Als nächstes kam die Frage, ob nicht ich ihre Partnerin wäre. Sie könne es ruhig sagen, man sei ja offen. Lang single zu sein und eine enge Freundin zu haben, weckt offenbar die Vermutung, man sei heimlich ein Paar. Netter Versuch, Möchtegern-Sherlocks. Offensichtlich haben die Überzeugungen unserer Gesellschaft noch nicht mit den Fakten aufgeholt, die seit Jahren in Studien und Medien veröffentlicht werden. Meine Freundin und ich gehören zu den Millennials, auch Generation Y genannt. Dazu zählen alle Menschen, die zwischen 1981 und 1996 auf die Welt gekommen sind. Verglichen mit früheren Generationen gründen wir später eine Familie, sind älter, wenn wir heiraten, und gehen überhaupt seltener eine Ehe ein.

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Uns Millennials sind laut einer Studie der Unternehmensberatung Signium International Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, Spaß und Lebensgenuss, ein erfüllender Job und eine fortwährende, gute und vielseitige Bildung wichtiger als eine feste Partnerschaft und die Familiengründung. Speziell im Bezug auf Frauen sind die Ergebnisse dieser und ähnlicher Studien spannend: Im Vergleich setzen sie sich noch ambitioniertere Weiterbildungsziele als Männer, um finanzielle Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu erreichen. Auch in einer Studie von Deloitte steht Familienplanung bei Millennials hinter anderen Wünschen, etwa die Welt zu sehen und die Gesellschaft positiv zu beeinflussen – Ersteres ist wieder Frauen ein größeres Anliegen. Bei allen Metern, die in der geschlechtlichen Gleichberechtigung noch zu machen sind, können Frauen heutzutage lauter über ein selbstbestimmtes Leben nachdenken als in früheren Zeiten und sind überzeugt, darauf hinarbeiten zu können.

Gut‘ Ding braucht Weile

Ich persönlich finde, dass es unter diesen Umständen zu begrüßen ist, dass feste Partnerschaften oder Familiengründung in meiner Generation etwas später im Leben und für manche auch gar nicht auf dem Plan stehen. In den Sechzigern war es vollkommen normal, Anfang 20 zu heiraten und kurz darauf das erste Kind zu bekommen. Ich war mit 20 gerade dabei, mein erstes Studium abzubrechen und tief in eine Sinnkrise zu fallen – good times.  Mit fast 21 Jahren kam ich mit meinem ersten Freund zusammen. Ich war weit davon entfernt zu wissen, was ich im und vom Leben will, weit davon entfernt, mit Selbstvertrauen und -sicherheit auf einem soliden Fundament von Überzeugungen und Prinzipien im Leben zu stehen. Wie kann ich denn dann wissen, mit wem ich längerfristig mein Bett und mein Leben teilen will?

Freiheit kennt Grenzen, aber keinen Kompromiss

Millennials sind also insgesamt länger in Aus- und Weiterbildung, möchten die Welt sehen, einen Unterschied in der Gesellschaft machen, einen erfüllenden Job finden und selbstbestimmt leben. Das hat uns den Ruf eingebracht, eine Ansammlung von Egoisten und beinahe krankhaften Individualistinnen zu sein. Stimmt, ich bin nicht interessiert daran, meine eigenen Interessen und meine Freiheit für die meines Partners aufzugeben. Das kann man gerne egoistisch oder kompromissfaul nennen und ich nehme es als Kompliment an. Ich bin in dieser Hinsicht sogar kompromisslos. Der einzige Kompromiss, der mich in einer Beziehung interessiert, ist der, dass wir an einem Abend in sein Lieblingslokal gehen, an einem anderen dafür in meines. Dass wir einmal das Konzert einer Band sehen, die ich toll finde, und dann dafür ein anderes Mal zu einem Fußballspiel des Teams gehen, für das er brennt. Ich werde niemals langfristig meine Ziele und Bedürfnisse hinter die meines Partners stellen, weil ich weiß, dass mich das unglücklich machen würde und die Beziehung daran scheitern würde. Wenn das bedeutet, dass ich weniger und dafür gehaltvolle Partnerschaften eingehe, ist mir das sehr recht.

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Ich bin ich …

Ich bin also nicht bereit, mich in die Schablone einer perfekten – Achtung, bürgerliche Kategorie! – Partnerin zu zwängen und mich über eine Partnerschaft zu definieren – und meine fellow Millennials haben ebenfalls andere Ambitionen. Dieses Thema lässt mich immer wieder an eines der weitsichtigsten und intelligentesten Kinderbücher aller Zeiten denken: das kleine Ich-bin-Ich von Mira Lobe und Susi Weigel. In dieser simplen Geschichte für Kinder steckt eine der komplexesten Aufgaben jedes Menschenlebens: sich selbst kennen und lieben zu lernen und sich, mit allem was man ist, nicht zu verstecken. Früh übt sich, wie man so schön sagt. Die Schläge in die Selbstbewusstseins-Magengrube kommen bestimmt. Nicht nur mein Ich, sondern generell ein Ich hat viele Facetten, die man kennenlernen muss, bevor jemand anderer das tun kann. Erst muss man sich selbst so lieben, wie man ist, bevor man sich von jemandem anderen lieben lassen kann. Das braucht Zeit und Erfahrungen.

Und wer sagt, dass mir ohne festen Partner etwas im Leben fehlt? Ich bin gesund, habe einen kleinen aber feinen Freundeskreis und habe mehr Hobbys, Vorhaben und Interessen, als in meine Freizeit passen. Und Sorgen habe ich mit Mitte 20 viele, aber nicht die, dass ich eine schrullige, zurückgezogene alte Jungfer mit zehn Katzen werde, deren einziger humaner Kontakt darauf beruht, Menschen auf der Straße zu beobachten, während ich meine x-te Zigarette inhaliere, und am Wochenende die Kinder im Stiegenhaus anzubrüllen, wenn sie mal wieder die Stufen hinunter trampeln.

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… und ich bin single

Für die Zukunft habe ich mir etwas vorgenommen. Wenn ich gefragt werde, ob sich in meinem Liebesleben was tut, werde ich nie mehr sagen: „Leider nein.“ Nach einigem Nachdenken habe ich nämlich festgestellt, dass das Leider immer etwas war, das ich für mein Gegenüber beigefügt habe, ohne es selbst besonders schade zu finden – fast entschuldigend. Klar sehne ich mich ab und an nach der Nähe, die mir nur ein fester Partner in einer längeren Beziehung gibt, nach der Intimität, den Hoch- und Tiefgefühlen einer tiefen emotionalen Bindung. Wenn der Punkt kommt, an dem ich bereit für eine Beziehung bin und gleichzeitig ein Mann auftaucht, mit dem ich gut zusammenpasse, dann wird sich mein Beziehungsstatus ändern. Gute Partnerschaften gibt es nicht an jeder Straßenecke und ich warte tausend Mal lieber auf den echt guten Herzens-Stoff, als Energie für halbe Sachen zu verschwenden und darüber mich selbst zu verlieren. Das gilt übrigens für jedes Lebensalter. Ob die Menschen um mich herum denken, dass es an der Zeit wäre, eine feste Beziehung einzugehen und an Nachwuchs zu denken, kann mir herzlich egal sein. Also nein: Ich bin nicht leider single. Ich bin single.

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Wenn man dann einen Partner oder eine Partnerin hat, kommt vielleicht mal die Idee für ein romantisches Bad zu zweit auf. Unsere Redakteurin Viki hat das zweisame Baden unter die Lupe genommen und festgestellt: Sie findet es ziemlich unromantisch.

(c) Beitragsbild | Amy Humphries | Unsplash