Permakultur-Projekt Edelsgraben: „Die Biodiversitätskrise ist so gefährlich wie der Klimawandel“
Wo einst ein Maisacker war, wachsen seit zwei Jahren Obstbäume, drei Schafe “mähen” die Wiese und Frösche lassen sich immer wieder am Teich blicken: In Edelsgraben in der Südoststeiermark hat Lukas Cwikl ein Permakultur-Projekt gestartet, mit dem er die Artenvielfalt in der Region fördern will. Wir haben ihn besucht und mit ihm über sein Projekt, die Biodiversitätskrise und über Festivals auf dem ehemaligen Maisacker gesprochen.
Lukas Cwikl mag Teiche. Er mag sie so gerne, dass er welche auf dem gepachteten Grundstück in Edelsgraben im Bezirk Feldbach gebaggert hat. Auch wenn der größere Teich an regnerischen Herbsttagen braun, trüb und wenig einladend aussieht, fühlen sich verschiedene Tierarten wie Frösche und Unken darin wohl, an warmen Sommertagen auch Menschen. Von einem kleinen Holzsteg aus überblickt der 25-jährige Student mit kinnlangen Haaren und in Latzhose den Teich. Er erklärt, welche Pflanzen auf dem Grundstück wachsen und welche Tiere er hier schon beobachtet hat. Dass sich hier so viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten wohlfühlen, ist kein Zufall. Mit seinem Permakultur-Projekt Edelsgraben will er Artenvielfalt in der Region fördern und der Biodiversitätskrise den Kampf ansagen.
Kampf dem Mais
Was Lukas Cwikl nicht mag, ist Mais. Zumindest nicht in Edelsgraben. Denn in der unmittelbaren Umgebung gibt es ohnehin schon genug davon, findet er. In seiner Permakultur sollen möglichst viele verschiedene Lebensräume für möglichst viele verschiedene Lebewesen entstehen. Und mit einem Monokultur-Maisacker funktioniert das eben nicht.
Der Begriff Permakultur leitet sich von “permanent agriculture”, also “dauerhafte Landwirtschaft” ab. Sie gilt als nachhaltige Form der Landwirtschaft, die sich an natürlichen Abläufen und Beobachtungen der Natur orientiert. Menschen nehmen darin nur noch eine koordinierende Rolle ein. Im Gegensatz zu einer Monokultur, bei der immer die gleichen Pflanzenarten angebaut werden, soll in der Permakultur eine möglichst große Artenvielfalt dafür sorgen, dass das Ökosystem auch ohne Eingriffe von außen dauerhaft bestehen kann. Gibt es beispielsweise zu viele Schnecken, werden sich in einer funktionierenden Permakultur genug Jäger wie Igel ansiedeln, die sich dem Schnecken-Problem annehmen. Dafür muss die Landwirtschaft vielfältig genug sein. Der Mais in Edelsgraben musste also weg.
“Wir Menschen sind Teil des Ökosystems”
Die Idee für das Permakultur-Projekt Edelsgraben hatte Cwikl gemeinsam mit einem Schulkollegen, nachdem die beiden ein Seminar von Sepp Holzer besucht haben – Österreichs “Permakultur-Papst”, wie Cwikl ihn nennt. Die Idee wurde 2020 Realität: Sie pachteten das Grundstück neben Cwikls Elternhaus für ein paar Hunderter pro Jahr, die Corona-Lockdowns verbrachten sie großteils auf dem Feld. Bisher haben sie etwa 4.000 bis 5.000 Euro investiert. Stellt sich die Frage: Warum das Ganze? “Das Hauptproblem, das wir lösen wollten – oder zumindest ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein sein – ist die Biodiversitätskrise. Denn die ist mindestens genauso gefährlich für uns wie der Klimawandel”, sagt Cwikl. “Wir Menschen vergessen, dass wir auch Teil eines Ökosystems sind. Wenn das restliche Ökosystem rund um uns kollabiert, wird für uns Menschen auch nicht mehr viel übrig bleiben. Das ist in den vergangenen Jahren von der Politik nicht wirklich beachtet worden.”
Und wenn es sonst keiner macht, dann nimmt es Lukas Cwikl selbst in die Hand. Also hat er erst gemeinsam mit einem Freund, nun mit seiner Freundin, jede Menge Mais entfernt, den über einen halben Hektar großen Acker terrassiert und mit Obstbäumen, Teichen und Hecken verschiedene Lebensräume für Tiere und Pflanzen geschaffen. Damit der 25-Jährige nicht ständig das Gras mähen muss – wäre auch schwierig, denn Cwikl studiert derzeit Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur in Wien –, kümmern sich drei Schafe darum.
Erdäpfel für die Apokalypse
Spätestens seit Greta Thunberg und Fridays for Future regelmäßig auf die Straße gehen, ist der Klimawandel thematisch omnipräsent. Von der Biodiversitätskrise liest man hingegen seltener. Die Krise bezeichnet den schnell voranschreitenden Artenschwund seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Ursache? Der Mensch. Denn vor allem durch die intensive Landnutzung gehen viele Lebensräume verloren. Sei es durch die Abholzung des Regenwaldes, durch Flächenversiegelung oder durch den Einsatz von Pestiziden und Insektiziden.
“Eigentlich ist es absurd, wie wir überhaupt auf die Idee gekommen sind, dass wir Gift brauchen, um Lebensmittel herzustellen”, sagt Cwikl. Denn deren Auswirkungen auf das Ökosystem seien nicht ausreichend erforscht. “Man könnte auch ohne Gift noch genügend Nahrungsmittel herstellen, wenn der Konkurrenzdruck nicht so hoch wäre, wie er heute ist.” Die Landwirtschaft und die freie Marktwirtschaft würden einfach nicht zusammenpassen, Landwirt*innen stünden unter dem Druck, möglichst viel zu produzieren, Konzerne pochen auf Saatgutpatente und Profit, kritisiert er. Cwikl findet, es müsse wieder mehr auf einer regionalen Ebene passieren – ein Anfang wäre es zum Beispiel, regional Obst und Gemüse zu produzieren. Wie eben in Edelsgraben.
Bis die Obstbäume hier Früchte tragen, dauert es noch ein paar Jahre. Das Ziel vom Edelsgraben ist derzeit auch nicht, Obst und Gemüse in großen Massen zu produzieren und zu verkaufen. Aber sich und sein Umfeld versorgen zu können, dieser Gedanke spielt für Cwikl in Zukunft schon eine Rolle: “Ich bin kein Prepper, der sich auf die Apokalypse vorbereitet oder so, aber ich hätte schon lieber genug Erdäpfel angepflanzt, wenn’s wirklich so weit ist“, sagt er und lacht. Mit dem Projekt will er Menschen auch dazu inspirieren, sich nicht zu fürchten, sondern selbst die Initiative zu ergreifen und vielleicht ähnliche Projekte zu starten.
Von Festival bis Welt retten
Vielen Menschen, die man für etwaige Projekte anstacheln könnte, begegnet man an diesem Regentag in Edelsgraben nicht. “Für mich war es immer ein Problem, dass die coolen Leute vom Land alle früher oder später in die Stadt ziehen. Wenn wir das immer so machen, geht irgendwann die Kultur am Land verloren. Wir wollen hier, irgendwo im Nirgendwo, auch coole Events machen.” So ist die Idee für ein kleines Festival im Edelsgraben entstanden: mit Zelten im Garten, Live-Musik aus der Garage und selbstgebauten Palettenmöbeln. “Das war echt eine schöne Erfahrung und ein magischer Vibe, weil alles mitten in der Natur, zwischen den Obstbäumen, stattgefunden hat.”
Und wenn nicht gerade Festivalbesucher*innen für Furore in Feldbach sorgen, zeigt das Team von Edelsgraben sein Projekt auch gerne der nächsten Generation. Zum Beispiel im Rahmen vom “Ferienspaß”, einem Ferienprogramm für Kinder und Jugendliche. Wie er den Kindern erklärt, was er in Edeslgraben macht und warum? “Ich habe ihnen gesagt: ‘Kinder, die Erwachsenen haben uns im Stich gelassen. Sie haben diesen Planeten in einem Zustand für uns hinterlassen, der nicht tragbar ist. Und es ist unsere Aufgabe, gemeinsam die Welt zu retten!’ Weil ich wollte ihnen auch nicht unbedingt sagen: ‘Kinder, die Welt geht unter, es geht alles in Oasch, alles vertrocknet, alles brennt.’”
Nur noch kurz die Welt retten – keine einfache Aufgabe, die sich Cwikl gestellt hat. Eine konkrete Lösung für Biodiversitäts- und Klimakrise hat er noch nicht in der Schublade. Wichtig sei es, die Welt radikal neu zu denken – wie wir Menschen auf diesem Planeten in Zukunft leben wollen. Ein Anfang könnte aussehen wie in Edelsgraben: mit verschiedenen Lebensräumen, sanfter Landwirtschaft – und genügend Teichen.
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