Fridays for Future: Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut

„What do we want?“ „Climate Justice!“ „When do we want it?“ „Now!“ Seit Dezember 2018 gehen freitags auch in Wien die Schülerinnen und Schüler auf die Straße, um die Politik in Sachen Klimakrise zum Handeln zu bringen. Wir waren am 24. Mai 2019 beim zweiten weltweiten Klimastreik mit dabei.

Viktoria Klimpfinger Aktualisiert am 30.11.2019
Fridays for Future
(c) 1000things Redaktion / Viktoria Klimpfinger

Gerne unterstellt man der jungen Generation in Sachen Politik zwei Dinge: Einerseits drückt man den Jungen missgünstig den Stempel der Politikverdrossenheit auf. Wenn sie dann aber am Freitag die Collegeblöcke niederlegen und für das Klima auf die Straße gehen, bezichtigt man sie andererseits als Heuchlerinnen und Heuchler, weil sie – Achtung, Fake News – angeblich so viel Müll bei ihren Demos hinterlassen. Zwei Vorurteile, mit denen die Demonstrationen der Fridays-for-Future-Bewegung nachhaltig aufräumen. Wir waren beim zweiten weltweiten Klimastreik am 24. Mai 2019 in Wien dabei und haben mit einigen Demonstrantinnen und Demonstranten gesprochen.

Von Katowice auf den Heldenplatz

Noch legt sich die Morgensonne ruhig über den Heldenplatz. Geschäftig tummeln sich auf dem sonst noch fast leeren Platz bereits einige „Fridays“ im weißen Laborkittel. Fridays – so nennen sich die jungen Organisatorinnen und Organisatoren der Klimastreiks. Sie testen Mikrophone, statten Demo-Wagen aus und richten die Bühne zu Füßen des Erzherzog-Karl-Denkmals ein. Bald geht’s los. Das spürt man. Auch Leo Zirwes und Katharina Rogenhofer vom Organisationsteam merkt man die gespannte Vorfreude schon an. „In über 110 Ländern sind Streiks angemeldet. Das ist so riesig!“, sagt Katharina energisch.

Sie war im Zuge eines Praktikums bei der UN-Klimakonferenz dabei, die von 2. bis 15. Dezember 2018 in Katowice stattfand. Hier hielt die damals 15-jährige schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg jene Rede, die um die Welt ging. Tief beeindruckt beschloss Katharina damals zusammen mit Philipp Wilfinger und Johannes Stangl, die sie bei der Konferenz kennengelernt hatte, die Fridays for Future auch nach Österreich zu holen. Bereits am 21. Dezember fand der erste freitägliche Klimastreik von Schülerinnen, Schülern und Studierenden auf dem Wiener Heldenplatz statt.

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Leo Zirwes und Katharina Rogenhofer (c) Viktoria Klimpfinger | 1000things.at

Verantwortung, wem Verantwortung gebührt

Die 25-jährige Katharina hat mittlerweile ihren Master in Naturschutz abgeschlossen und ist Sprecherin des Klimavolksbegehrens. Leo neben ihr ist 17 Jahre alt, geht noch zur Schule. Er ist also einer von jenen, die jeden Freitag das Klassenzimmer gegen die Straße, die Mathebücher gegen Protestschilder tauschen. Obwohl er von seinen Eltern und Lehrpersonen überwiegend positive Reaktionen bekommt, ist die Fridays-Bewegung auch immer wieder mit Kritik konfrontiert. Allen voran hört man offenbar wiederholt das Pseudoargument, dass die Schülerinnen und Schüler ja selbst Smartphones besäßen, mit dem Flugzeug auf Urlaub fliegen und so weiter. Doch genau darum geht es der Bewegung: Dass man die Verantwortung, die jahrzehntelang auf die Zivilgesellschaft abgewälzt wurde, endlich der Politik zurückgibt. „Wir fordern von der Politik Rahmenbedingungen, die es uns einfacher machen, klimaschonend oder klimaschützend zu handeln“, sagt Katharina. „Das soll die einfachste, leistbarste, billigste Alternative sein.“

Im Zusammenhang mit den wöchentlichen Klimastreiks kursieren auch immer wieder Falschmeldungen in den sozialen Medien. Bilder zeigen Straßen voller Müll, der von den Fridays hinterlassen worden sein soll. Solche Meldungen sind von Initiativen, die virale Meldungen wie diese auf ihre Authentizität untersuchen, regelmäßig als Fälschungen entlarvt worden – beispielsweise vom Verein Mimikama. Auch darauf reagiert man hier mit pragmatischer Bestimmtheit: Viele tragen eine Müllzange mit sich herum, hie und da sieht man Streikende mit orangen Warnwesten, die demonstrativ das kleine bisschen Müll aufklauben, das herumliegt – auch wenn es vielleicht gar nicht von den Demonstrierenden selbst kommt. Das ist schließlich ganz im Geiste der Bewegung: nicht mehr Erbsen zählen und Schuld zuweisen, sondern handeln.

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Hier bleibt nichts liegen. (c) Viktoria Klimpfinger | 1000things.at

„Wir streiken, bis ihr handelt!“

Die Stimmung wird von Minute zu Minute aufgeweckter. Durch die Luft surrt das Dröhnen der Bühnenlautsprecher, durch die abwechselnd skandiert, musiziert oder appelliert wird. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Auf dem Platz vor der Erzherzog-Karl-Statue haben sich inzwischen Demonstrierende jeden Alters eingefunden. Vornehmlich sind es aber immer noch Schülerinnen und Schüler, die mit fester Stimme und ernstem Blick gemeinsam riesige Banner vor sich herhalten – „Wir streiken, bis ihr handelt“, sagt eines, „Fridays for Future“ ein anderes. Von überall her strömen Jugendliche auf den Heldenplatz. Größere Gruppen kommen schon in geordneten Demonstrationszügen an und rufen laut die Parolen der Bewegung. Viele machen es sich vorerst auf der Wiese gemütlich und genießen die Sonne, skandieren aber selbst von dort aus ab und zu laut mit – manche mit geballten Fäusten, andere noch mit etwas monotoner Stimme und müdem Gesichtsausdruck.

Es ist ein Bild des Aufbruchs, das sich sitzend, stehend, überzeugt singend und vehement skandierend über den Platz spannt. Nein, von Politikverdrossenheit der jungen Generation kann hier nun wirklich nicht die Rede sein. Im Gegenteil. „Ich glaube, die Menschen, die so denken, sind ziemlich weit entfernt von der Lebensrealität der Jugend“, sagt Leo. Denn die ist bei den meisten, die hier her kommen, nicht geprägt von parteipolitischen Querelen oder politischer Image-Politur, sondern von echter Sorge um ihre Zukunft.

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1,5-Grad-Deckel und sofortiges Handeln

Damit begründet etwa auch die 14-jährige Tabea Kletzer ihren Eintritt ins Organisationsteam der Bewegung: „Ich habe mir gedacht: Okay, ich habe jetzt wirklich Angst. Weil wenn wir jetzt nichts machen, sind wir in sieben Jahren alle tot.“ Sie steht zusammen mit ihrer Mutter Eva und ihrer 12-jährigen Schwester Livia nicht weit von der Bühne entfernt und hält ein rotes Schild mit der Aufschrift „Rettet unser Klima“ hoch. Wie Leo und wahrscheinlich viele hier ist auch Tabea bei den Fridays for Future das erste Mal so richtig politisch aktiv. Die Dringlichkeit der Situation war es, die sie zum Aufstehen bewogen hat. Daher sind auch die Forderungen so klar wie eindringlich: Das Eineinhalb-Grad-Ziel, das im Pariser Abkommen festgelegt wurde, soll erreicht werden. Die Fridays fordern konsequente und mutige Klima- und Umweltschutzpolitik und ein sofortiges Handeln der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.

Erhöhte Temperatur

Doch die Politik reagierte in Österreich anfangs eher zurückhaltend. Die Schülerinnen und Schüler sollen doch am Samstag streiken, um nicht die Schule schwänzen zu müssen, wie ihnen das Bildungsministerium nahelegte. „Schön, dann ist es nur kein Streik mehr“, schüttelt Tabea lapidar den Kopf. „Jeden Freitagmittag 200 Leute am Heldenplatz, das macht Druck. Und den brauchen wir.“ Druck aus der Gesellschaft, damit endlich etwas weitergeht – darin sieht auch Tabeas und Livias Mutter Eva den Schlüssel zur Veränderung. Denn die Unternehmensberaterin für Umwelt und Nachhaltigkeit findet, dass Politik und Industrie die Verantwortungen untereinander hin und her schieben und sich dabei kaum etwas ändert. „Zum Glück gehen jetzt die Kinder auf die Straße und sind einmal laut und lästig!“, sagt sie.

Mit diesem Tatendrang haben sie letztlich Eva und viele andere Erwachsene angesteckt, die sich mittlerweile Parents for Future nennen und fleißig mitdemonstrieren. Laut Eva finden die meisten in ihrem Freundeskreis Tabeas Engagement ziemlich cool. Mit der Schule gebe es ebenfalls keinerlei Probleme. Denn Tabea ist eine gewissenhafte Schülerin und holt alles nach, was sie verpasst, wie sie erzählt. Und zur Sicherheit bekommt sie wöchentlich ein Schreiben von Eva in die Schule mit: „Ich schreibe jede Woche eine Entschuldigung, auf der steht: erhöhte Temperatur.“ Wir lachen alle kurz auf – obwohl oder gerade weil es da eigentlich gar nichts zu lachen gibt.

Fridays for Future
Tabea, Livia und Eva Kletzer (c) Viktoria Klimpfinger | 1000things.at

Ohne Veränderung keine Preisverleihung

Ins Leben gerufen hat die Parents for Future der 53-jährige Filmarchitekt Nikolai Ritter – zumindest in Österreich. Seine Tochter hatte ihm Greta Thunbergs Klimarede in Katowice zugeschickt. Wie Katharina und ihre Mitorganisatoren der Wiener Fridays hat Thunbergs Auftritt und Einsatz auch ihn zum Handeln ermutigt. Seit dem zweiten Streik in Wien ist er jeden Freitag mit dabei, ist ins Kernteam hineingewachsen und wollte irgendwann auch die Eltern ins Boot holen – also die Parents for Future, die es in Deutschland unter diesem Namen bereits gab. Nikolai ist auch verantwortlich für die kreative Ausstattung der Demonstrationen. Dieses Mal gibt es etwa Wahlurnen – europablau bemalte OBI-Umzugskartons mit zwölf Sternen auf der Front –, in die Noch-nicht-Wahlberechtigte ihre Stimmen für die EU-Wahl abgeben können. Miteinberechnet ins Ergebnis konnten sie leider nicht werden, aber sie zählen dennoch.

Außerdem hat Nikolai die Delegation der Bewegung zum 4Gamechangers-Festival im April 2019 begleitet, bei dem eine Handvoll Schülerinnen und Schüler ein starkes und mutiges Zeichen setzte: Eigentlich sollte ihnen der Future-Award verliehen werden. Doch als Bundespräsident Alexander Van der Bellen ihnen die transparente Miniskulptur überreichte, lehnten sie ab. Vor einer versammelten Mann- und Frauschaft von Gamechangers, Influencern, Industriellen und Werbetreibenden hielten sie eine Rede darüber, dass es jetzt keine großen Worte oder Preise braucht, sondern verflixt noch mal endlich Taten. Und sie, die sie hier säßen, seien es, die das Spiel wirklich zum Guten verändern könnten. Solange das nicht passiere, wollen die Fridays for Future den Award nicht annehmen, sondern den Gamechangers als Erinnerung an die dringend nötige Veränderung weitergeben. Stille erfüllte den Saal. Und dann tosender Applaus.

Parents for Future
Nikolai Ritter (c) Viktoria Klimpfinger | 1000things.at

Auch bei Gesprächen mit Politikern und Politikerinnen der unterschiedlichen Lager ist Nikolai dabei. Die meisten seien aufrichtig und sehr froh über die Fridays, denn ihnen selbst seien die Hände gebunden. „Die Bewegung muss in der Bevölkerung kräftig mobilisieren, damit die Politiker handeln können. Das ist das, was wir immer gesagt kriegen“, sagt Nikolai. „Wir sind ein missing link in der Politik, weil wir emotional agieren und dazu beitragen, dass zwischen den Playern diese Es-geht-nichts-weiter-Schockstarre zum Klima etwas gelöst wird.“ Wenn aber der Politik die Hände gebunden sind, wer hat dann das Sagen? Ist es wirklich das Volk selbst? Oder vielleicht doch Industrie und Großkonzerne? Oder alle zusammen?

Während wir noch auf der Wiese sitzen und über gebundene Hände und hin und her geschobene Verantwortung grübeln, bäumt sich hinter uns etwas auf. Immer lauter hallt das Megaphon: „What do we want?“ Und die Masse gellt zurück: „Climate Justice!“ Langsam, fast andächtig rollt der Demozug los in Richtung Innenstadt und dreht vorher noch einmal eine Runde auf dem Heldenplatz. Wie einen Schild schieben die Demonstrierenden das Banner mit der Aufschrift „Wir streiken bis ihr handelt“ vor sich her. Vor ihnen sehen wir Leo wieder in seinem weißen Kittel. Er ist es, der das Megaphon hält und mit fester Stimme animiert: „When do we want it?“ „Now!“

Fridays for Future
(c) Viktoria Klimpfinger | 1000things.at

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