Unser Senf: Sind wir Generation Binge?

Viktoria Klimpfinger Vom 27.02.2020
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal macht sich unsere Redakteurin ein paar Gedanken übers Fasten.
Fasten-Trend

Endlich wird es ruhiger. Über die Straßen, auf denen am Faschingsdienstag noch ein vom Suff verschmierter Clown sein Bier auf den Randstein erbrach, rollen heute die metaphorischen Gestrüppballen aus den Westernfilmen. „Gestern hamma g’soff’n, heute samma – brav?“ Auf den Höhepunkt des Narrentums, den Sinkflug des Niveaus folgt die ach so besinnliche Fastenzeit.

Erst mal eskalieren

Und die muss längst nichts mehr mit Ostern zu tun haben. Oder mit Religion generell. Nein, fasten kann man scheinbar immer dann, wenn man es davor so richtig übertrieben hat, sich das ganze Jahr über regelmäßig so zugeschüttet hat, dass man am nächsten Tag die Pizzaboten mit seinem puren Antlitz erschreckt, sich immer wieder die Schoko-Ripperln ins Gesicht geschoben hat, die für eine ganze Armee aus Schokoskeletten reichen würden oder jeden Tag so heftig in den Untiefen sozialer Medien versunken ist, dass man zwar wochenlang nicht mit Freundinnen oder Freunden gesprochen hat, aber dafür genau weiß, wie süß ihre Katzen beim Schlafen aussehen. Dann nimmt man sich erst einmal eine Auszeit von den irdischen Verführungsmechanismen. Kommt ganz zu sich. Kasteit sich selbst. Und nervt einen Monat lang das komplette Umfeld mit salbungsvollen Monologen darüber, dass man doch jetzt endlich verstanden hat, worum es im Leben wirklich geht: Scheinheiligkeit.

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#SoberOctober

Immer öfter höre ich von Gleichaltrigen, dass sie eine Fastenperiode einlegen. Etwas, wofür wir unsere Eltern früher noch milde belächelt haben und dabei leise „Spießer“ vor uns hinmurmelten, ist – wie Wandern – inzwischen zum Lifestyle-Abzeichen upgegradet worden. Bestes Beispiel ist wieder einmal der Alkohol: Da kann man sich nicht mehr erinnern, an welchem Wochentag man das letzte Mal kein Gläschen Wein zum Runterkommen gebraucht hat, fürchtet sich insgeheim schon ziemlich vor dem eigenen Lebensstil, und dann kommt er endlich, der Sober October. Und schon hat man das Gefühl, man radiert alle Exzesse, alle unabsichtlichen Schmusereien, alle Nächte über der Kloschüssel in einem Monat aus. Und zwar nicht mit einem Filmriss, sondern mit absolutem Verzicht. Und das auch nur, damit man nachher mit gutem Gewissen weiter bipperln kann.

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Generation Binge

Bravo! Und man möge mir bitte nicht gleich in hasserfüllter Kommentarspalten-Manier die Worte im Mund umdrehen: Eine gewisse Zeit lang auf etwas zu verzichten, um uns zur Abwechslung mal wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren, ist natürlich nichts Schlechtes und macht ja durchaus Sinn. Aber ist das nicht irgendwie verdammt alarmierend, dass es in vielen Belangen nur mehr ein Entweder-Oder zu geben scheint? Entweder totaler Genuss oder totaler Verzicht? Sind wir vielleicht zu einer Art Generation Binge geworden, die ihrem Binge-Eating, Binge-Drinking oder Binge-Watching nur einen Riegel vorschieben kann, indem sie binge-verzichtet? Ist das Leben so überfordernd, dass nur die Reduktion auf das Minimum uns davor bewahrt, durchzudrehen?

Erst aus-, dann einpendeln

Immerhin ist für viele von allem zu jeder Zeit mehr als genug da. Das ist so ziemlich der Inbegriff eines First-World-Problems. Auf die neue Folge der Lieblingsserie muss man etwa nicht erst eine Woche lang warten, man kann sich gleich sämtliche Staffeln auf einmal reinziehen und fühlt sich danach erst recht so schrecklich leer. Und hat man dann auch noch Aufräumen mit Marie Kondo gebingewatcht, fragt man sich, ob es einem vielleicht besser gehen würde, wenn man auf all die überflüssigen Klamotten im Kleiderschrank verzichten würde.

Aber ganz so pessimistisch, wie man meine Generation gerne darstellt, sollte man uns auch nicht sehen. Immerhin versuchen auch wir nur, auf Digitalisierung, Klimakrise, drohende Pandemien und den ganzen Wahnsinn klarzukommen. Und wenn das Pendel für viele von uns im Moment vielleicht vom einen Extrem ins andere ausschlägt, schwingt es sich ja, wie es sich für Pendel nun einmal gehört, irgendwann in der Mitte ein. Damit das geschieht, ist es also vielleicht sogar notwendig, es hin und wieder mit einem kräftigen Tritt in die andere Richtung zu kicken. Oder mit ein bisschen Disziplin in der Mitte zu halten.

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Ähnlich wie mit dem Fasten verhält es sich übrigens oft auch mit den Neujahrsvorsätzen. Außerdem haben wir uns Gedanken darüber gemacht, woran man merkt, dass man erwachsen geworden ist.

(c) Beitragsbild | Pixabay


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