Kakaozeremonie in Wien

Luisa Lutter Vom 21.12.2019
Kommt mit auf eine Tasse Kakao in ungewöhnlicher Atmosphäre. Wir haben für euch das Ritual der Kakaozeremonie in Wien ausprobiert. Euch wird nicht nur wohlig warm ums Herz, sondern vielleicht auch Lust auf einen eigenen Selbstversuch gemacht.

Wenn es draußen dunkel und trüb ist und wir ohne Handschuhe, Kopfbedeckung und Schal auf keinen Fall das Haus verlassen, dann hat der Winter Einzug gehalten. Man kann den Jahreszeiten-Blues natürlich mit unterschiedlichen Varianten bekämpfen: Wochenendausflüge, Kamincafés und Lokale mit entsprechenden scharfen Gerichten.
Nun gibt es noch eine weitere tolle Möglichkeit, euch von innen heraus gegen die Kälte zu wappnen. Ihr benötigt dafür eine Portion Offenheit, Neugier und Interesse an einer völlig neuen Prozedur, die ihr wahrscheinlich so noch nicht erlebt habt.
Ich habe im Rahmen eines Selbstversuches einmal eine Kakaozeremonie in Wien ausprobiert und bin sprichwörtlich auf den Geschmack gekommen.

In der Vergangenheit

Kakaozeremonien haben eine lange Geschichte und finden sich bereits in frühen Aufzeichnungen der Menschheit. Dass ihre Entwicklung eng verwoben ist mit jener von der Entdeckung des Kakaos, liegt auf der Hand. Der Kakaobaum hat seinen Ursprung in Zentralamerika. Bereits bei den Olmeken rund 1.500 vor Christus wurde Kakao verwendet. Die Olmeken stellen die älteste mexikanische Hochkultur dar, aus ihnen gingen später die Mayas und Azteken hervor. Kakao diente im Laufe der Geschichte nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als Heilmittel und wurde für rituelle Zeremonien eingesetzt, denn er war gleichbedeutend mit Blut. Ihm wurde schon damals eine kräftigende und anregende Wirkung nachgesagt.

Eine Kakaobohne wird geöffnet | (c) Rodrigo Flores | Unsplash

Die Mayas und Azteken reicherten den Kakao nur mit warmem Wasser und Prisen von Pfeffer, Chili oder Vanille an. Da der Kakaobaum selten war, wurde das kostbare, daraus gewonnene Getränk nur für Priester, Krieger und Könige zubereitet. Mit dem Untergang der Hochkultur verschwand auch dieses zeremonielle Ritual. Vorerst. Viele Jahrhunderte schlummerte es, bis der Schamane Keith Wilson es in unserer heutigen Zeit wiederentdeckte und der Welt damit eine berauschend-spirituelle Erfahrung zurückgab.

Die Gegenwart

Keith gilt mittlerweile als berühmter und anerkannter Kakao-Schamane. Er lehrt das Ritual hauptsächlich in Guatemala seinen Schützlingen. Sein Ziel ist es, die fast verloren gegangene Tradition wieder zu beleben und sie unter anderem durch seine gelehrige Gefolgschaft in die Welt hinauszutragen. Zeremonien können ganz verschieden aussehen und mit künstlerischen Elementen versehen sein, Yoga oder Meditation beinhalten oder Schamanismus einfließen lassen.
Große und kleinere Sessions werden überall auf der Welt angeboten und abgehalten. Von New York bis nach Berlin – und auch bis nach Wien haben es die Kakaozeremonien letzten Endes geschafft. Doch Kakaozeremonien faszinieren nicht nur, sie polarisieren auch. Denn manche tun sie als esoterischen Hokuspokus ab, andere wiederrum bekommen leuchtende Augen, wenn das Gespräch auf Kakaozeremonien kommt. Auch ich war zuerst skeptisch, zeitgleich jedoch wahnsinnig neugierig und aufgeregt.

Der Gedanken an einen Kakao macht bereits Vorfreude | (c) maddi bazzocco | Unsplash

Kakaozeremonien dauern in der Regel mehrere Stunden, sie werden von einem Schamanen oder Schamanin geleitet oder auch einem Sahib, wie sich zum Beispiel mein Zeremonienmeister zusätzlich nannte. Das Wort Sahib kommt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie Gefährte oder Wegbegleiter. Er führt schrittweise durch die Zeremonie und achtet auf den Fluss und das Tempo innerhalb der Gruppe. An ihm orientiert man sich als Teilnehmer oder Teilnehmerin. Jeder Mensch reagiert anders auf den Kakao und doch dringt die Stimme des Sahibs zu einem durch und webt sich unaufdringlich in die eigene innere Reise ein. Letzten Endes ist das auch das Ziel einer Kakaozeremonie, wie wir sie heute kennen: Man soll auf eine Reise zu sich selbst gehen. Alles kann – nichts muss. Im Idealfall geht ihr ohne Erwartungen hinein und lasst euch einfach fallen. Ich weiß, das ist oft leichter gesagt als getan, und auch ich erwischte mich dabei, wie meine Gedanken anfangs noch um die aufzuhängende Wäsche, Bekannte treffen und Einkaufslisten kreisten.

Doch was ist das Geheimnis einer Kakaozeremonie?

Auch wenn da jede und jeder selbst ihren eigenen Weg finden muss und die Eindrücke so vielfältig sind, dass man darüber wahrscheinlich stundenlang diskutieren könnte, kann ich euch schon mal einen Tipp mitgeben: Man kann logischerweise nur ein einziges Mal eine allererste Kakaozeremonie erleben und diese wird euch sicherlich in Erinnerung bleiben, egal wie viele weitere folgen werden. Sie legt den Grundstein, wie ihr auf weitere Prozeduren dieser Art reagiert. Eine Kakao-Zeremonie lebt von der Bereitschaft, sich ganz in diesem Moment fallen zu lassen. Wer möchte, kann sich zuvor eine Fragestellung oder Problematik aus dem eigenen Leben überlegen, auf welche er oder sie gerne Antwort finden möchte.

Bereit für eine neue Erfahrung? | (c) Scott Webb | Unsplash

Vorbereitungen zum Wohlfühlen

Habt ihr eine anstehende Kakaozeremonie in Wien gefunden, werden euch im Idealfall nach der Anmeldung ein paar Ratschläge zugeschickt, wie etwa gemütliche Kleidung sowie eine Flasche Wasser und eine eurer Lieblingstassen mitzubringen. Egal, ob euch flauschige Socken ein sicheres Gefühl geben, ein Hoodie, eine Fleecedecke oder ein kleines Kissen, alles ist erlaubt und sollte unbedingt vorab rausgesucht werden.

Der Eintritt in den Tempel

Ich habe mir eine spirituelle Akademie herausgesucht. In dieser werden unter anderem Yoga-Stunden abgehalten und besondere Kurse und Diplomprogramme im Visionären Zeichnen gegeben. Einer der Begründer ist übrigens die Phantasten-Legende Ernst Fuchs.

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Gute Voraussetzungen also, um eine spezielle Atmosphäre geboten zu bekommen und mit den richtigen Vibes zu starten. Die Akademie ist etwas verwinkelt und wir als Teilnehmende fanden uns zuerst in einem geräumigen Zimmer ein, in dem wir überwiegend schweigend warteten. Wer wollte, konnte sich auch erst vor Ort in einer kleinen, provisorischen Umkleide umziehen. Endlich kam unser Zeremonienmeister herein, er scannte jede einzelne Person und ging gezielt auf jene zu, die er bisher noch nicht in dieser Runde begrüßt hatte. Ein tiefer Blick in die Augen gehörte dabei ebenso dazu wie ein kräftiger Händedruck.

Dann wurden wir in den Tempel gebeten. Barfuß ging es einen langen Gang entlang, schweigend, dann kam unsere Karawane zum Stehen. Viele Gedanken kreisten in mir umher, schon lange habe ich nicht mehr auf irgendwas gewartet, von dem ich nicht wirklich wusste, was es sein würde. Ein bisschen fühlte sich dieses Warten wie jenes in einer Clubschlange an, doch da weiß ich zumindest konkreter, worauf ich mich an dem Abend einlasse. Weiß welcher DJ spielen wird und mit wem ich tanzen gehe. Ich habe zumindest eine Vorstellung von dem Ereignis, für das ich in der Regel bereit bin, 15 Euro Eintritt zu zahlen. Bei den 49 Euro, die ich für den Kakao-Abend zahlte, konnte ich im Vorhinein nichts erwarten.

Unsere Warteschlange rückte nach und nach vor. Endlich war ich an der Reihe und sah nun, was all die anderen Teilnehmenden zuvor schon zum Einstieg in den Abend erlebt hatten. Ich wurde von einem Assistenten mit einem Palo Santo Holz beräuchert. Diesem Holz werden Heilkräfte und die Umwandlung von negativer Energie in positive nachgesagt. Seinen Ursprung hat es übrigens auch in der südamerikanischen Volksmedizin.

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Nach diesem ersten Ritual durfte ich eintreten und einen der letzten freien Plätze im großen Sitzkreis wählen. Wir waren, inklusive unseres Sahibs, 18 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Für das Wohlbefinden und den perfekten Komfort gab es weitere Kissen und Decken vor Ort. Der Raum war in die Länge gezogen, die Lichter gedämpft und auch wenn es draußen schon begann, dunkel zu werden, so erkannte man noch die Umrisse eines Innenhof-Gartens. Jemand hatte Kerzen angezündet und an der Wand hingen einige ausgewählte Bilder, die tief in rauschhafte Seelenbilder blicken ließen. Manche waren farbenfroh und ekstatisch, andere hatten etwas von beeindruckender Weisheit und Mehrdeutigkeit zugleich.

Spürst du schon was?

Damit wir die bevorstehenden Stunden gemeinsam genießen konnten, wurde ein Gruppengefühl aufgebaut. Dies geschah, indem wir uns alle an den Händen hielten und unsere eigene Energie und die guten Absichten für den Abend an alle anderen weiterschickten. Wir Teilnehmenden stellten uns in wenigen Sätzen vor und wer wollte, konnte sagen, mit welcher Absicht oder Fragestellung er oder sie sich auf diese Reise bei der Kakao-Zeremonie begeben wollte. Im Anschluss gab es einen Exkurs in die Geschichte des Kakaos und wie unser Sahib selbst den Weg dazu fand. Wir lauschten alle gebannt der warmen und ruhigen Stimme von unserem Kakaozeremonienmeister. Es baute sich schon während dieser ersten Stunde ein interessantes Gemeinschaftsgefühl auf. Auch wenn wir alle den Fokus auf uns selber richteten, so wünschte man den anderen ebenfalls ein tolles und bereicherndes Erlebnis. Dieses Gefühl schwebte wie eine fluffige Wolke im Raum und benötigte gar keine Worte, um greifbar zu werden.

Wohliges Empfinden breitet sich bei den Teilnehmenden aus |  (c) Greg Rakozy | Unsplash

Dann wurde der große Topf mit heißem Kakao hereingetragen. Feierlich und von Kerzen umringt, stand er dann in der Mitte unseres Kreises.

Doch bevor wir von den Kakao trinken durften, machten wir Übungen, um unsere verschiedenen Chakren zu aktivieren. Es gibt sieben Hauptchakren, welche für die besonderen Bedeutungen aller Spektren in unserem Leben stehen. Begleitet von Musik und mit der eigenen Stimmenkraft öffneten wir gemeinsam diese sensiblen Areale. Im Anschluss war es endlich soweit: Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin durfte einzeln in die Mitte des Kreises treten und die Becher auffüllen lassen. Der Kakao hatte mittlerweile Trinktemperatur erreicht. Ein weiterer, tiefer Blick in die Augen von unserem Zeremonienmeister und ein Moment der Andacht, dann konnte man mit der kostbaren Beute an seinen Platz zurückkehren. Getrunken wurde jedoch erst, als wirklich alle aus der Gruppe ihren Becher wieder an ihrem Platz in die Hände genommen hatten. Zuerst wurde uns geraten, vorsichtig zu nippen, den Geschmack auf der Zunge ausbreiten und ihn in der Kehle ankommen zu lassen. Ein schönes Gefühl, sich mal wieder bewusst Zeit für eine Geschmackserfahrung zu nehmen. Der Kakao schmeckt anders, als man es gewohnt ist. Es fehlt Zucker und er wird nur mit Gewürzen und maximal etwas Honig gesüßt. Er riecht ganz leicht herb, dank der Gewürze vermischt es sich aber zu einem angenehmen und reizvollen Geruch, der animiert, stetig weiter an der Tasse zu nippen.

Duftend und köstlich: Der Kakao während der Zeremonie | (c) rachael gorjestani | Unsplash

Wer mag, kann im weiteren Verlauf Nachschlag erhalten. Jedoch wurden wir gewarnt, die Wirkung nicht zu unterschätzen. Das liest sich jetzt sicherlich erst mal seltsam, immerhin geht es hier um Kakao. Jedoch ist die Rede von rohem, unbehandeltem Kakao, den man nicht einfach im Supermarkt erstehen kann. Roher Kakao wirkt ähnlich wie Koffein. Der Hauptwirkstoff nennt sich Thebromin. Das Nervensystem wird dadurch angeregt und die Blutgefäße erweitert. Jedoch wird Kakao langsam im Körper verstoffwechselt, wodurch wir die Wirkung auf den Körper nur schleichend wahrnehmen. Die Wirkung hält dafür aber auch länger an als bei Koffein.

In mir stieg zumindest schon zu Beginn eine angenehme Wärme auf. Zum Wasser musste ich trotzdem des Öfteren greifen, da der Kakao in dieser Form und auf eine ganze Tasse aufgeteilt doch etwas viel für die Geschmacksknospen war. Jeder handhabt das Trinken wie er möchte: Einige saßen im Schneidersitz, andere lehnten andächtig an der Wand und wiederum eine Teilnehmerin hatte eine Art Schleier dabei, den sie sich überzog, um ganz mit sich und ihrem Getränk zu sein. Uns wurde gesagt, dass es viele Formen gibt, um zu merken, dass der Kakao seine Wirkung entfaltet. Einige sprechen von einem gelösten und freien Herzen. Solche Erfahrungen machte ich jedoch nicht.

Eine Reise in die eigene Kathedrale

Nach einer kurzen Pause fanden wir uns wieder in unserem Kreis ein. Unser Sahib übernahm sogleich die Leitung und ließ passend zu seinen Erzählungen Musik an den richtigen Stellen einfließen. Da wir bereits zuvor unsere Chakren geöffnet und die Stimmbänder gelockert hatten mit Summen, Brummen und diversen vokalen Lauten, waren nun die Glieder an der Reihe. Rhythmisches Stampfen mit den Beinen wurde von klatschenden Händen und wummernden, leichten Schlägen auf den Brustkorb abgelöst. Jeder war dabei, seinen eigenen Sound zu finden und sich in seinem eigenen Rhythmus zu verlieren. Ich gebe zu, am Anfang war es mir noch befremdlich. Ich tanze normalerweise selten und wenn, dann fast nur zu sehr harten Techno- oder Electro-Bässen in dunklen Clubs. Doch hier veränderte sich etwas in der Wahrnehmung. Ich hatte den Freiraum, mich auszuprobieren. Es war nicht einfach nur ein „Augen zu und durch“, sondern vielmehr ein „Augen zu und fühlen“. Der Kakao entfaltete seine Wirkung und der Körper zeigte durch die Bewegungen auf, dass er bereit ist für all die neuen Gefühle, die sich ankündigten.
Tatsächlich kündigte sich bei mir aber recht wenig an, sondern schob sich einfach ineinander und passierte schlichtweg. Rückblickend kann ich nicht mehr sagen, wann und wie oft ich mit geschlossenen oder mit geöffneten Augen da stand. Der Blick richtete sich ab irgendeinem Zeitpunkt nach innen und was ich sah, war schlichtweg zum Weinen. Die Tränen strömten einfach so, unkontrolliert und von mir auch nicht gleich wahrgenommen. Pures Glück, Überraschung und wohliger Einklang: Freudentränen. Herrlich erleichternd und wohltuend.

(c) | Gian D. | Unsplash

Dies muss der Schlüsselmoment gewesen sein, in dem ich losgelassen habe. Kopf aus, Herz an. Kakao sei Dank. Wir standen, tanzten, bewegten uns eine ganze Weile durch den Raum oder lagen hin und wieder einfach nur. Manchmal nahm man die anderen wahr, doch waren sie Randerscheinungen in dem riesigen Schub an Emotionen, mit dem man auf sehr positive Art und Weise konfrontiert war. Man fühle die Luft vibrieren und die Wolke über uns schien die Energie zu bündeln und wie ein Diffusor immer wieder auf ein Neues zu versprühen. In den Momenten, in denen ich leichte Anzeichen von Erschöpfung wahrnahm, kam sogleich ein neuer Regenguss an bunten Bildern, warmen Farben und – ich wage auch zu sagen – Visionen auf mich nieder.
Wie bereits erwähnt, gingen einige mit einer konkreten Fragestellung in die Kakao-Zeremonie hinein. Dies sollte keine bloße Ja-oder-Nein-Frage sein, es geht vielmehr um ein ganzheitlich funktionierendes Konstrukt. Etwas, wovon man sich Emotionen erwartet und im Inneren unverhoffte, versinnbildlichte Antworten finden kann.
Ich fühlte kurzzeitig und zu Beginn aufkeimenden Druck, dass ich schnell noch eine Fragestellung finden muss, doch dieser verflog so schnell wie er kam, denn es geht im Grunde nicht darum. Es geht um einen Selbst, nicht im egoistischen Sinne, sondern im Sinn eines Entdeckens der Vielfalt in einem Selbst, ohne Hektik und Eile. Man lernt in diesen Stunden viel über Bedacht, Geben und auch Annehmen.

Ihr seid auf den Geschmack gekommen? Wir haben weitere tolle Highlights für eure To Do Liste. Unter anderem die schönsten Wochenendausflüge im Winter sowie 10 aufwärmende Tipps zur Winterzeit.

(c) Beitragsbild | Emily bauman | unsplash