Unser Senf: Wie das Essverbot in der Wiener U-Bahn den Grant beflügelt

Viktoria Klimpfinger Vom 10.01.2019
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal amüsiert unsere Redakteurin, dass das bevorstehende Essverbot in allen U-Bahn-Linien ideales Ventil für jeden Grantler ist.
Essverbot U-Bahn

Mittwoch, 10 Uhr vormittags in einer Wiener Straßenbahn. Ich, völlig ausgehungert, weil ich wieder einmal keine Zeit hatte, mir zuhause mein Frühstück zuzubereiten, knabbere verstohlen an meinem geruchsneutralen Ströck-Ciabatta. Rücksichtsvoll wie ich bin, habe ich sogar das Papiersackerl um den Popsch des Weckerls gewickelt, damit die Brösel auch ja nicht auf die Garnitur der Bim purzeln. Man kann mir also wirklich nichts vorwerfen, dachte ich. Ich bin ein vorbildlicher Öffi-Esser, dachte ich.

Bis der kleine Bub, der neben seinem Vater eine Reihe vor mir auf der anderen Seite des Ganges saß, das Schild über meinem Kopf laut vorlas. Ich nenne ihn aus offensichtlichen Gründen einfach einmal Judas. Judas las also artig vor: „Iss was du willst, aber bitte nicht hier. Papa, was heißt das?“ Und Papa legte los: „Weißt du, Judas, damit will man erreichen, dass die Leute in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr essen, weil das andere Leute stört.“ Blick auf mich. „Aber es gibt immer noch Idioten, die’s nicht checken.“ Sein Finger streckt sich in meine Richtung. „So wie die da.“ Wow. Beschimpft wurde ich in Wien aus diversen Gründen zwar schon oft. Aber bis dato hat mich noch niemand als Idiot bezeichnet, weil ich in der Bim ein Weckerl esse. Als ich meinen Mobber kurz vor dem Aussteigen darauf hinweise, dass es ziemlich uncool ist, mit nacktem Finger auf angezogene Leute zu deuten und sie wegen eines Weckerls zu dissen, entgegnet er nur unbeeindruckt: „Steht ja auf dem Schild, dass man hier nicht essen soll.“

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Das Essverbot und der Grant – eine Zusammenschau

Bis dahin war mir das bevorstehende allgemeine Essverbot in den Wiener U-Bahnen, die Hardcore-Variante zur Rücksichtskampagne in Bus und Bahn, eigentlich herzlich wurscht. Immerhin habe ich mich ja auch nicht angesprochen gefühlt, weil ich weder anderen Leuten beim Einsteigen gleich mal meinen Döner-Atem ins Gesicht hauche noch meine fettigen Pizza-Finger an den Stoffbezügen der Sitze abwische. Aber als mich der Bobo-Vater, der eigentlich aussah, als würde er sogar seine Einkaufsliste gendern, ungeniert mit seinem Zeigefinger geshamet hat, weil er sich von einem Schild dazu berechtigt fühlte, kam ich dann doch etwas ins Grübeln. Das Essverbot selbst tangiert mich nach wie vor kaum. Aber das, was es in den Leuten auslöst, ist bemerkenswert. Und unterhaltsam.

„Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 20 Jahre später.“ Dieses Zitat schreibt man gerne Gustav Mahler oder Karl Kraus zu. Wer’s wirklich gesagt hat, ist hier nebensächlich. Stimmen tut es jedenfalls. Zumindest, wenn man nach der Sache mit dem Öffi-Essverbot urteilt. In Berlin ist es nämlich tatsächlich schon seit dem Jahr 2000 verboten, in der Bahn zu mampfen. Ob sich die Fahrgäste daran halten, ist wieder eine andere Frage. Das wird sich aber auch in Wien erst zeigen. Denn obwohl die Wiener Linien im Sommer über 50.000 Fahrgäste befragt haben und die überwiegende Mehrheit davon, 37.453 Menschen, angab, sich ein allgemeines Essverbot auf allen U-Bahn-Linien zu wünschen, sieht auf Twitter der Zuspruch zum #Essverbot schon etwas anders aus. Der reicht nämlich eher von Häme bis ernsthaftem Grant.

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Wider die Verbote

Man könne doch nicht ernsthaft für geruchsbelästigendes Essen in der U-Bahn plädieren, meint die Pro-Seite. Aber darum geht es der Anti-Fraktion zum Großteil ja auch gar nicht. Nein, bei dem Grant aufs Essverbot geht es vielmehr um das Konzept des Verbotes an sich. Dass es überhaupt erst ein Verbot braucht, das uns klarmacht, dass es unhöflich ist, fremden Menschen in geschlossenen Räumen unseren Essensgeruch aufzudrängen. „Aber ist das wirklich ein so großes Problem?“, fragen andere. Immerhin fährt man doch mit einer U-Bahn-Linie meist nicht länger als 20 Minuten. Könnte man ein bisschen Zwiebeldunst nicht einfach ertragen? Muss man sich denn wirklich über alles aufregen? Muss man natürlich nicht. Aber in Wien kann man durchaus.

Zwischenfazit: Das Essverbot provoziert also schon seit vergangenem Sommer zum Grant über die Verbotskultur einerseits, zum Grant über den Grant der anderen andererseits.

Aber der Grant geht sogar noch weiter: In der Diskussion darüber, ob man das Essen in der U-Bahn wirklich verbieten muss, melden sich dann auch immer wieder jene Haarspalter zu Wort, die meinen, das Problem werde damit nicht bei der Haarwurzel gepackt. Denn eigentlich seien Alkohol bzw. Restfett’n, Schweiß und ähnliche Ausdünstungen die weitaus größeren Nasenhaarkräusler. Alkohol ist in den Öffis zwar generell verboten, aber dass sich die Menschen in ihrem Stammbeisl illuminieren und dann mit der U-Bahn beschwingt heimgondeln, kann man nun einmal nicht verbieten. Zum Glück. Da müssen die Kreuzritter des Wohlgeruchs eben einfach durch. Kann ja auch nicht jeder in Rosenblütenessenz gebadet haben.

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Die Philosophie der Kekse

Doch das Essverbot regt nicht nur anarchisch motivierten Grant, Grant über Grant oder Grant über weiterführenden Grant an. Nein, es bricht sogar eine philosophische Diskussion vom Zaun. Die nämlich, ab welchem Alter es okay ist, Kindern ihre Kekse wegzunehmen. Denn zunächst soll es bei Zuwiderhandeln gegen das Essverbot keine Strafen geben und auch Kindern werde man ihre Kekse nicht aus der Hand schlagen, versichern die Wiener Linien. Beruhigend. Sollte das Essverbot jedoch nicht hinhauen, ohne Strafen zu verhängen, müsse man ernsthaft darüber nachdenken, ab welchem Alter eine Keks-Enteignung rechtens wäre.

Ich persönlich würde ja heute noch in Kreischen und Tränen ausbrechen, würde mir ein Fremder in der U-Bahn mit strengem Gesichtsausdruck mein Keks aus der Hand reißen. Aber emotionales Alter zählt bei dieser Diskussion wohl nicht. Doch wie alt muss man biologisch sein, um für unerlaubtes Keksknabbern belangt zu werden? Drei? Dreizehn? Ab wann sind wir überhaupt vollends verantwortlich für unseren Keksverzehr? Und sind wir das jemals? Schon hat uns das Essverbot mitten in die existenzielle Debatte um den freien Willen manövriert.

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Beflügelung der Hilfssheriffs

Aber auch der Determinismus ist längst nicht das Ende des Rattenschwanzes an Grant, den das Essverbot vor sich her schnalzt. Denn besonders nach seinem Inkrafttreten befeuert das prominente Verbot mit Sicherheit das Geltungsbedürfnis des einen oder anderen Hilfssheriffs, Typen wie Judas’ Vater in der Straßenbahn etwa, die nur zu gern auf den Verfehlungen der anderen herumreiten. Denn wenn jemand eine grauslich stinkende Leberkäs-Semmel isst, ist es natürlich okay und angebracht, ihn darauf hinzuweisen, dass das gar nicht geht. Aber jemanden wegen eines Weckerls öffentlich zu beschimpfen und das dann auch noch gerechtfertigt zu finden, geht doch etwas zu weit.

Und jetzt einmal ehrlich: Jeder von uns kennt mindestens einen solchen I-Tüpfel-Reiter, der nur darauf wartet, andere Menschen mit erhobenem Zeigefinger unter Bezugnahme auf irgendein Verbot zu maßregeln, was das Zeug hält. Und die, das prophezeie ich aus meinem persönlichen Grant auf Judas’ Vater heraus, werden dank dieses Verbots aus ihren Online-Foren und anonymen Troll-Postings hervorkriechen. Endlich ein Grund mehr, sich auch öffentlich über andere zu mokieren und ihnen die eigene Meinung unverhohlen ins Gesicht zu knallen. Ich sehe die Diskussionen schon vor mir:

Epilog

Person A sitzt in der U-Bahn neben Person B und isst Nüsse.

Person B: „Sie dürfen hier nicht essen.“

Person A: „Das sind Nüsse.“

Person B: „Nüsse sind auch Essen.“

Person A: „Ja, aber das stört doch keinen, oder?“

Person B: „Es geht nicht darum, wen’s stört, sondern darum, dass es verboten ist.“

Person A wirft Person B die Macadamia-Nüsse ins Gesicht. Eine Nuss landet im Mund von Person B. Person B verstößt unabsichtlich selbst gegen das Verbot und lebt ab jetzt als Gesetzloser.

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