Das große Vintage-Interview
„Das ist nicht alt, das ist Vintage!“ Das Wort mit V ist seit Jahren in aller Hipster-Munde. Und das zurecht: Vintage-Dinge sind nicht nur voller Geschichten, sondern auch noch nachhaltig. Wir haben Yunona Khripunova von Omas Teekanne und Möbelretterin Sarah Essl zum Kaffee getroffen und sie alles über Vintage gefragt, was wir immer schon wissen wollten.
Fast in jedem zweiten Gespräch über die neue Lederjacke oder die eigenartige Taschenuhr fällt unter stilbewussten Vollhipstern früher oder später der Satz: „Die ist Vintage!“ Und alle nicken bewundernd. Dabei muss man drei Dinge klar voneinander unterscheiden: Antik, Vintage und Retro. Antik ist alles, was vor den 1920ern produziert wurde. Vintage-Produkte stammen aus der Zeit zwischen den 20ern und 80ern. Und retro ist alles, was zwar aussieht wie aus vergangenen Zeiten, aber heutzutage hergestellt wurde.
Seit einigen Jahren ist alt total im Trend. Plötzlich wird Omas Kleiderschrank ungewöhnlich interessant, und ihre schrulligen Wohnzimmermöbel sowieso. Dahinter steckt aber längst nicht nur das Offensichtliche, dass sich nämlich die Mode irgendwie im Kreis zu drehen scheint. Zum einen macht Vintage das alte Lederteil natürlich gleich mal um Ecken interessanter, wenn man eine ergreifende Story der alten Lady dazu erzählen kann, die sie einem verkauft hat. Prestige also. Zum anderen macht Vintage aber auch im Sinne der Nachhaltigkeit viel Sinn. Denn alte Sachen nicht im Kasten vergammeln zu lassen oder wegzuwerfen, sondern bewusst zu tragen und wiederzubeleben, spart Ressourcen. Und richtet sich damit gegen Preisdumping und mehr als fragliche Produktionsbedingungen so mancher Großketten.
Wider die Wegwerfgesellschaft also! Wider die Fünf-Euro-Tanktops, die man sich jedes Jahr im Sommer aufs Neue kauft, weil die vom Vorjahr schon wieder zerschlissen sind. Bei einigen Rechercheausflügen nach Graz haben wir entdeckt, dass die Vintage-Szene hier sehr aktiv und stark untereinander vernetzt ist. Weil wir selbst kleine Flohmarkt-Hipster sind und uns gleichzeitig fragen, warum Vintage eigentlich zu so einem Schlagwort geworden ist, haben wir zwei Grazerinnen aus der Szene getroffen. Yuno leitet gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin den schnuckeligen Teeladen Omas Teekanne und Sarah nimmt sich als Möbelretterin alten Möbeln an, indem sie sie zu neuen, stylishen Teilen upcycelt.
Kaffeeklatsch mit den Grazer Vintage-Ladys
1000things: Sarah, Yuno, was reizt euch denn persönlich so am Vintage-Flair?
Yuno: Dass die Sachen so einzigartig sind. Die Gegenstände erzählen Geschichten. Teilweise bekommt man die Geschichten ja von den Leuten erzählt, die sie verkaufen. Aber mich reizt auch die tolle Qualität und der hohe Anspruch, was Design betrifft. Es gibt natürlich gutes, schönes zeitgenössisches Design, aber sehr vieles davon bezieht sich auf die Vergangenheit. Das, was wir zum Beispiel heute bei IKEA kaufen, geht zurück auf das skandinavische Design der 50er- und 60er-Jahre. Genau dasselbe gilt auch für die Vintage-Kleidungsstücke. Es gibt die Theorie, dass erst etwas Gravierendes passieren muss, zum Beispiel ein Krieg oder ein technologischer Sprung, damit sich das gängige Design radikal verändert. Deshalb stecken im heutigen Design immer noch die Muster und Inspirationen der Nachkriegszeit.
Sarah: Mich reizt hauptsächlich das Design. Früher wurde ganz anders gearbeitet. Das sind hochqualitative Möbel, die kriegt man heute so nicht mehr, außer man geht zum Tischler und zahlt entsprechend viel Geld. In den 50ern und 60ern war aber auch eine günstige Möbelserie unkaputtbar. Das ist das Besondere an Vintage-Möbeln.
Ist Vintage eine gute finanzielle Alternative zu Großketten?
Yuno: Vintage ist eine günstige Alternative zur Massenproduktion. Egal, ob Kleidung, Homedekor oder Möbel. Wenn du es dir nicht leisten kannst, von einem Tischler einen Tisch machen zu lassen oder von einem Schneider einen Anzug, dann kannst du auf Vintage umsteigen. Das ist easy und günstiger. Ich sage jetzt nicht, dass jeder zum Flohmarkt gehen soll. Aber es gibt genug Leute, die online oder offline verkaufen. So unterstützt du auch deine Locals und du weißt, wer hinter dem Produkt steht. Das sind die Macher, die ganz wichtig sind und sein werden in nächster Zeit, weil die Leute das Persönliche wieder mehr schätzen.
Woran liegt es, dass man das Gefühl hat, die Grazer Vintage-Szene ist besonders aktiv?
Sarah: Wir sind alle ungefähr die gleiche Generation, die etwas bewirken will. Das schweißt schon zusammen. Aber es kommen auch Neue dazu. Die Szene erweitert sich immer. Es ist schön, so eine kleine Community zu haben und sich auszutauschen. Man lernt voneinander.
Yuno: In Wien ist es vielleicht anders, weil es so viele Vintage-Läden gibt. Wir hier in Graz haben alle ungefähr um die gleiche Zeit angefangen. Das war vor ungefähr zwei Jahren. Damals war Vintage noch relativ neu für Graz. Man sieht sich immer wieder auf denselben Märkten. Wenn zu mir Leute kommen und Möbel suchen, leite ich sie zu Sarah weiter und umgekehrt. Es ist ein Geben und Nehmen. Dadurch, dass Graz so überschaubar ist, hat man das Gefühl, da tut sich was.
Nachhaltigkeit und Vintage gehen ja sehr stark Hand in Hand. Ist das auch für euch ein Beweggrund, auf Vintage zu setzen?
Sarah: Total. Ich habe ursprünglich aus diesem Grund mit dem Möbel-Upcycling angefangen, weil ich gesehen habe, wie viel Sperrmüll die Leute wegschmeißen. Am Schrottplatz in Graz habe ich Massen an schönen Tischen und Sesseln in den Containern gesehen. Und nicht nur antike Möbel lassen sich gut upcyceln. Man kann auch aus einem alten IKEA-Kasten noch etwas Cooles machen, bevor er weggeschmissen wird. Ich komme also eigentlich über die Nachhaltigkeit zum Vintage. Da schließt sich für mich der Kreis.
Lebt ihr den Vintage-Lifestyle auch privat?
Sarah: Ja und nein. Ich bin nicht so der Vintage-Outfit-Typ, aber ich mag alte Möbel auch privat sehr gerne. Bei mir zuhause stehen überall alte Möbel und Sachen vom Flohmarkt.
Yuno: Mein Ziel dieses Jahr ist es, keine Fast Fashion, also Massenware, mehr zu kaufen. Das ist aber keine große Umstellung. Sicher 60 bis 70 Prozent der Kleidungsstücke in meinem Kasten sind ohnehin schon Vintage oder zumindest Second Hand. Aber manchmal geht man eben doch aus Zeitgründen zu einer großen Kette, weil es praktisch ist und günstig. Das möchte ich in Zukunft vermeiden.
Meine Ernährung ist natürlich nicht Vintage. (lacht) Aber ich achte so gut es geht darauf, dass die Lebensmittel aus der Region stammen und bio sind. Beim Homedekor ist bei mir auch viel secondhand oder Vintage. Einiges habe ich in Sachen Upcycling von Sarah gelernt. Die Swing-Musik der 20er-Jahre höre ich zwar auch gerne, aber weil sie im Laden ohnehin ständig läuft, höre ich privat lieber Indie Rock, Indie Folk oder Post Rock.
Wenn man sich so viel aus der Vergangenheit übernimmt, läuft man da Gefahr, auch gewisse Denkmuster aus der Vergangenheit zu übernehmen? Stichwort: „Früher war alles besser“?
Yuno: Ich finde überhaupt nicht, dass früher alles besser war, im Gegenteil. Die fürchterlichen Magazine aus dieser Zeit zeigen schon, wie schlimm es zum Beispiel um die Frauenrechte damals stand. Aber wir können das Beste aus der Zeit übernehmen, zum Beispiel was gutes Handwerk bedeutet. Das heißt aber nicht, dass die Gesellschaftsformen auch übernommen werden sollten. Denn das Gute am Zurückschauen ist: Wenn man die Geschichte kennt, will man nie dahin zurück. Wenn man weiß, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und was ihn ausgelöst hat, weiß man, dass man die Rechten im 21. Jahrhundert nicht unterstützen sollte.
Was bedeutet Nostalgie für euch?
Yuno: Für mich sind das Kindheitserinnerungen. An mein erstes Fahrrad. Oder an die Zeit, in der meine Oma noch lebte. Die frühen 90er-Jahre in der zerfallenen Sowjetunion, das sind so meine nostalgischen Erinnerungen. Das heißt jetzt nicht, dass es supertoll war, aber das war eben meine Kindheit.
Sarah: Ich bin auch in den 90ern aufgewachsen. Da kommt schon ein bisschen Nostalgie auf, wenn ich sehe, dass die Leute heute das tragen, was wir damals anhatten. Da denkt man sich dann schon: Diese Buffalos hatten wir damals auch an. Das Bauchtascherl haben wir auch getragen. Aber das ist nicht richtige Nostalgie für mich. Die geht schon eine oder zwei Generationen weiter zurück. Für mich sind das zum Beispiel viele Geschichten, die mir meine Großeltern erzählen, von vor und nach dem Krieg. Das ist für mich Nostalgie, wenn ich mir denke: Es war nicht immer schön, aber im Privaten hat es auch damals schöne Zeiten gegeben, obwohl man nicht viel hatte.
Wenn ihr die volle Dröhnung Vintage wollt, dann schaut doch bei Omas Teekanne in Graz vorbei. Was ihr in Österreich sonst noch alles anstellen könnt, erfahrt ihr bei unseren To Dos.