Unser Senf: Entschleunigung – wo bist du?

Viktoria Klimpfinger Vom 02.04.2020
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum sie die Krise nur schwer als lang ersehnte Auszeit sehen kann.
Entschleunigung

Endlich Feierabend! Endlich heißt es: Homeoffice-Jogginghose aus, Freizeit-Jogginghose an und eine Runde Sofaknotzen. Was machen die anderen eigentlich den ganzen lieben langen Tag so, jetzt, wo wir uns nicht mehr zum Spritzweintrinken, Kaffeetratschen und Popcorninhalieren im Kino treffen können? Achja, sie machen Yoga, haben gelernt, wie man sich selbst wie ein Profi die Haare schneidet, und finden zu sich selbst, während im Rohr das fünfte Bananenbrot aufgeht. Zumindest suggeriert mir das Instagram, während der Schrittzähler auf meinem Handy langsam die zweistelligen Zahlen verlernt und ich im Grunde eigentlich nur ein bisschen hier sitzen will. Ein bisschen hier sitzen und die Wand anstarren. Ein bisschen hier sitzen, die Wand anstarren und vielleicht daran denken, dass die Situation momentan ziemlich beschissen ist.

Denn so sehr ich mich auch anstrenge, ich kann die Krise nicht umdeuten als verordnete Auszeit, als Chance zur Entschleunigung, als verdammte Suche nach mir selbst. Natürlich lenkt sich jeder und jede auf seine oder ihre Art ab, natürlich ist es okay, für einen Moment die Unsicherheit und Angst vor der Zukunft auszublenden und die angestaubte Yoga-Matte auszubeuteln. Aber so wie momentan wurde ich wahrscheinlich noch nie mit all den schönen Dingen konfrontiert, die andere so tun, während ich im Homeoffice sitze und mich frage, wie sie nur die Zeit dafür finden.

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Alles okay, solange du nicht durchdrehst

Und das ist ebenfalls voll okay! Darin bekräftigen uns zumindest immer mehr followerstarke Persönlichkeiten im Internet, die damit zugleich ihren eigenen Content versuchen zu legitimieren: Jeder und jede hat seine eigenen Coping Mechanisms – ob es nun Sport ist, backen oder einfach nur paralysiert auf der Couch liegen und Nutella pur löffeln. Alles ist gut, solange du nicht durchdrehst, um mal ganz lose die Wilden Kerle zu verballhornen. Instagram solle allein der Inspiration dienen und nicht dem Leistungsdruck, Sport solle uns gesund halten und nicht ein bestimmtes Schönheitsideal propagieren. So weit, so richtig.

Ein seltsamer Ort ist dieses Instagram aber trotzdem: Da fegt eine Pandemie über den Kontinent, Pressekonferenzen werden gebingewatcht wie früher Modern Family, und was machen meine Online-Freunde? Bananenbrot. Und Makramee-Tutorials. Und Live-Work-outs. Und noch mehr Bananenbrot. So viel, dass es sogar zum Trend geworden ist, sich über dieses impertinente Bananenbrot lustig zu machen. Als könnte es was dafür, dass man sich beim letzten Hamsterkauf verkalkuliert hat und die mittlerweile braunen Krummfrüchte dafür büßen lässt, indem man sie zum Teig püriert.

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Hauptsache produktiv

Trotz allem sollten wir uns uns aber generell bewusst sein, dass uns das zynisch grinsende Antlitz der Leistungsgesellschaft gerade auf Social Media immer schon selbstbewusst entgegengrinst – natürlich top ausgeleuchtet und mit Vintage-Filter. Das war schon vor Corona so, das ist jetzt noch viel sichtbarer. Vor allem auch deshalb, weil Privatleben und Öffentlichkeit jetzt noch viel stärker miteinander verschwimmen als zuvor. Wir zeigen uns nicht mehr im Lieblingslokal, im Fitnessstudio oder geben mit unserem super instagrammable Hipster-Eisbecher an, sondern wir zeigen uns daheim, sehen andere daheim. Und genauso wie Prä-Corona, zeigen wir auch hier natürlich nicht den Saustall, in den unsere Wohnung aufgeht, weil wir im Homeoffice keine Zeit zum Putzen haben, den unappetitlichen Scheiterhaufen, den unser erster Cupcake-Versuch ausgeschieden hat. Der Ort, an dem wir vor ein paar Wochen vielleicht noch Ruhe hatten von Alltagsstress und Gefälligkeitsfetisch, wird jetzt selbst zum Schauplatz von gespielter Authentizität und Selbstoptimierung.

Ja, wir sollten uns bemühen, das alles positiv zu sehen. Nein, unnötiger Pessimismus bringt natürlich keinem was. Aber wenn sich perfekt ausgeleuchtete Instagram-Storys mit Bananenbrot und Kerzenschein in der Hauptrolle hartnäckig mit besorgniserregenden Nachrichten abwechseln, die Apokalypsefilme aus den letzten Jahren seltsam prophetisch wirken lassen, dann lässt es sich nicht vermeiden, dass einem die Fallhöhe zwischen romantisiertem Biedermeiergetue und Realität momentan enorm vorkommt. Denn das ist sie auch. Und die Blase, in der ich mich befinde, ist plötzlich geplatzt.

Blasenschwäche

Denn nichts anderes ist es, womit ich auf Social Media konfrontiert bin: mit unserer viel diskutierten Bubble. Damit, dass sich meine Lebensrealität und die von meinen Freundinnen und Freunden in Yoga-Pants mit Spritzwein am Balkon radikal nicht mit der von anderen deckt. Sie fahren trotz Ansteckungsgefahr zur Arbeit und stützen unsere Infrastruktur, sie haben ihre Jobs verloren oder jonglieren in einer Zwei-Zimmer-Wohnung Homeoffice und Kinderbetreuung. Und ich sitze gemütlich auf der Couch und mokiere mich über meine übermotivierten Instagram-Kontakte. Darf ich das überhaupt? Darf ich als halbwegs privilegierte Person in der Krise auch ein bisschen jammern und selbstgerecht die anderen an ihre Privilegiertheit erinnern? Ist das nicht auch eigentlich furchtbar zynisch? Und wann habe ich eigentlich das letzte Mal aus dem Fenster geklatscht?

Wahrscheinlich darf ich das, ein bisschen jedenfalls. Wahrscheinlich ist auch das letztlich nichts anderes als ein weiterer Bewältigungsmechanismus. Denn die Situation ist für jeden und jede in ihrer eigenen Dimension schwer. Und wenn die einzige Möglichkeit, etwas zu ihrer Entschärfung beizutragen, Bananenbrot backen oder Kerzen basteln ist, dann ist es okay, dass ich das erst einmal ziemlich Banane finde. Aber wenn es uns davon abhält, rauszugehen oder drinnen durchzudrehen, dann ist es im Moment wohl das Beste, was wir tun können. Zu Heldinnen und Helden macht uns das noch lange nicht. Aber zu Durchhaltern.

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Warum das Ganze aber eigentlich eine verdammt privilegierte Diskussion ist, habe ich mir in einem eigenen Text überlegt. Außerdem haben wir uns angesehen, welche Isolationstypen sich momentan herauskristallisieren.

(c) Beitragsbild | Carl Heyerdahl | Unsplash