Unser Senf: Warum uns die aktuelle Situation auch Mut machen kann

Pia Miller-Aichholz Vom 19.03.2020
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal schreibt unsere Redakteurin darüber, dass ihr die momentan herrschende Solidarität trotz der Bedrohung durch das Corona-Virus Mut macht.
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Nie dagewesen. Beunruhigend. Unsicher. Belastend. Existenzbedrohend. Einsam. Das und noch viel mehr ist die aktuelle Situation. Dazu kommt, dass es immer wieder Momente gibt, in denen man sich elend hilflos fühlt ob der Unklarheit darüber, wie lange es dauern wird, bis nicht mehr das Virus uns in die Schranken weist, sondern wir das Virus. Derzeit ist lediglich eines sicher: Die exponentiell rasche Verbreitung von COVID-19 können wir nur unterbinden, indem wir soziale Kontakte auf ein Minimum reduzieren und unseren Bewegungsradius massiv einschränken. Denn wo kein Wirt, da kein Virus. Die gute Nachricht für uns und die schlechte für das Virus: Wie sich derzeit herausstellt, sind Mut und Solidarität ebenfalls hochansteckend, und zwar trotz einem Meter Sicherheitsabstand und besonders übers Internet. Da schaust‘, gell Corona?

Veronika, der Lenz ist da … aber bleib daheim!

Wir alle haben uns unseren Frühlingsbeginn anders vorgestellt, no na ned. Endlich blühen die Magnolien und Kirschblüten, endlich passen die warmen Temperaturen zur Jahreszeit. In einer Parallelwelt säßen wir jetzt abends mit einem Spritzer in unserem Lieblingslokal. Stattdessen stoßen wir zuhause mit uns selbst an und müssen unserer Mutter beim Videochatten versichern, die drei auf den Abwasch wartenden Weingläser im Bildhintergrund seien definitiv nicht Indizien für Besuch von außerhalb unserer Anti-Corona-Bubble, sondern für unseren derzeit frequenten einsamen Weinkonsum – einerseits stolz ob unserer Konsequenz, andererseits beschämt, weil es immer heißt, alleine trinken sei der erste Schritt zum Alkoholismus. In einer Parallelwelt hätte die Frage unserer Mutter ein lässiges „Mami, ich bin erwachsen. Wer bei mir in der Wohnung ein- und ausgeht, ist meine Sache!“ zutage gefördert – verschärft mit einer Prise Bissigkeit. Aber aktuell ist es nun einmal so, dass wir alle eine gemeinsame Verantwortung tragen. Es ist nicht nur mehr meine Sache. Das ist zwar für viele andere Bereiche ebenso wahr, aber in den vergangenen Jahren haben wir bei globalen Herausforderungen immer wieder resignierend feststellen müssen, dass Naivität, Egoismus und Egozentrik effektive Maßnahmen vereiteln. Derzeit aber halten sich laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober 95 Prozent der Bevölkerung an die Vorgaben und Appelle der Regierung, der Behörden, des medizinischen Personals und der Hilfsorganisationen.

Langsam wachs‘ ma zam

Aber die Menschen ziehen sich nicht einfach in ihre Schneckenhäuser zurück und bunkern ohne Rücksicht auf andere Vorräte – zumindest abgesehen von einigen beachtlichen Klopapier-Bergen, die sich in manchen Haushalten stapeln müssen. Dazu kann man nur sagen: „Leidln, ein Problem habt ihr erst dann, wenn wider Erwarten und entgegen aller Informationen das Essen ausgeht. Und dann braucht ihr auch kein Klopapier mehr.“ Stattdessen unterstützen Nachbarn und Nachbarinnen jene, die in die Risikogruppe fallen, werden Initiativen für kleine österreichische Unternehmen gegründet, die aktuell von jedem Cent abhängig sind, der statt an Amazon und Co. zu gehen an sie fließt, geben einander Fremde in Online-Gruppen Tipps, wie man trotz Isolation guter Dinge bleibt und bieten jene, die normalerweise ihr Geld im Gesundheits- und Fitnessbereich verdienen, online Kurse auf Spendenbasis an. Es wäre zynisch zu sagen, wir hätten ein solches Virus gebraucht, um aus unserem auf Hochtouren laufenden Alltag, in dem unsere individuellen Bedürfnisse häufig an erster Stelle stehen, zurück zu einer gewissen Grundsolidarität zu finden. Was man allerdings durchaus sagen darf, kann und versuchen sollte zu sehen ist: Unsere Situation ist nie da gewesen, beunruhigend, unsicher, belastend, existenzbedrohend und beizeiten auch einsam, aber das Engagement der Zivilgesellschaft lässt Hoffnung schöpfen und inspiriert. Dass Not erfinderisch macht, ist derzeit keine schlappe Floskel, sondern täglich Realität.

I geh a ned alla

Unser neuer Alltag macht nicht nur erfinderisch, er holt auch all jene auf die Bühne, die normalerweise eine stille Rolle in unserem Leben spielen, obwohl sie für unsere grundlegende Versorgung zentral sind – die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beim Supermarkt ums Eck, die MA48, LKW-Lenker- und Lenkerinnen von Transportunternehmen, Journalisten und Journalistinnen – oder laufend für unsere Gesundheit und Sicherheit sorgen, auch wenn wir das normalerweise nur selten unmittelbar erleben – vor allem das Gesundheitspersonal. Die immer wieder kollektiv veranstalteten Klatschkonzerte kann der Ärztin im nächsten Krankenhaus nicht die vielen Stunden Schlaf ersetzen, die sie derzeit verliert. Sie können dem Zivildiener nicht die Sorge nehmen, sich früher oder später selbst zu infizieren. Ein vom Wiener Lokal Café Hildebrandt gekochtes Mahl oder Süßes von der weltweit ersten Cakepreneurin, der Wienerin Sophia Stolz, nimmt Angestellten im Lebensmittelhandel nicht das Risiko, von der Kundschaft angesteckt zu werden. Aber diese Aktionen sind ein ehrliches, herzliches und ausdrückliches „Danke!“.

Trotzdem sollten wir nicht vergessen, dass die derzeit wichtigste Geste ist, dass wir zuhause bleiben, wenn wir nicht unbedingt raus müssen – um uns und andere nicht zu gefährden. Sie zeigt am deutlichsten: Wir wissen, was ihr leistet. Wir haben Respekt vor euren Aufopferungen. Wir tragen unseren Teil bei. Ihr seid nicht alleine. Dass das in den vergangenen Tagen schon so gut funktioniert hat, zeigt, dass unsere Gesellschaft, die mal mehr, mal weniger verdient als unverbesserlich individualistisch gescholten wird, Solidarität eben doch noch kann. Und jetzt geben wir unseren penetranten Ohrwurm an euch weiter und sagen es mit den Worten des Highschool-Musical-Casts: We’re all in this together!

(c) Beitragsbild | Youssef Naddam | Unsplash