Unser Senf: Wie uns die Krise mit unseren Privilegien konfrontiert

Viktoria Klimpfinger Vom 01.04.2020
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal macht sich unsere Redakteurin Gedanken, wie die Krise unsere Privilegien entlarvt.
Privilegien Balkon

Die Krise führt uns vieles vor Augen: Wie stark unser Bedürfnis nach Nähe und zwischenmenschlichem Kontakt ist, wie wichtig vielen Menschen offenbar ein verlässlicher Vorrat an Toilettenpapier ist und wie sehr wir mittlerweile auf das Internet angewiesen sind. Vor allem aber zeigt sie eines: wie stark sich unsere Lebensrealitäten von einander unterscheiden.

Die Schere klafft auf

Die einen romantisieren die Isolation zur lang ersehnten Entschleunigung, während andere nach wie vor mit der U-Bahn zur Arbeit fahren, damit unsere Infrastruktur nicht zusammen bricht, während Menschen ohne festen Wohnsitz auf der Straße erhöhtem Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind, während sich Alleinerziehende mit ihren Kindern in der 50-Quadratmeter-Wohnung fragen, wie sie Homeoffice und Erziehung unter einen Hut bringen sollen, während Frauen ihren gewaltbereiten Partnern schutzlos ausgeliefert sind, während Geflüchtete in Camps, die vor Corona schon menschenunwürdig waren, jetzt erst recht sich selbst überlassen werden. Während Italien. Während Ungarn. Wenn wir also zu jenen gehören, die ihrem Job nach wie vor von zu Hause aus nachgehen können, dabei keine Kinder beaufsichtigen müssen und regelmäßig zum Supermarkt schlendern können, dann sollte uns spätestens jetzt klar sein, dass wir verdammte Glückspilze sind.

Das bedeutet jetzt aber wiederum auch nicht, dass unsere eigenen Sorgen und Ängste nicht auch berechtigt sind. Sich mit einer vollen To-Do-Liste ein wenig abzulenken, ist mehr als nur okay: Es ist wichtig! Aber genauso wichtig ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir uns momentan in einer neuen Zeit befinden, in der wir mit einer altbekannten Kluft innerhalb der Gesellschaft konfrontiert sind: Die Lager spalten sich aktuell nicht mehr so sehr in links und rechts, sondern viel mehr in privilegiert und nicht privilegiert.

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Nicht jeder gegen jeden…

Das zeigt sich am besten an der leidigen Diskussion darüber, warum in Ballungszentren denn nach wie vor so viele Menschen auf der Straße sind. In einer Wohnung mit Balkon oder Dachterrasse oder einem Haus mit Garten lässt es sich ja auch bequem urteilen über all jene, die in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zusammengepfercht sind und vielleicht einfach mal eine Runde um den Block drehen müssen, um nicht völlig durchzudrehen. Gerade in Großstädten wie Wien ist es allein schon mathematisch unmöglich, dass sie dabei, egal zu welcher Uhrzeit, weit und breit die einzigen sind. Und wenn man nun einmal in stärker besiedelten Gegenden der Stadt wohnt und momentan keine großen Ausflüge an den Stadtrand machen kann, dann sind wir eben gemeinsam mit all unseren Nachbarinnen und Nachbarn auf einen gewissen Radius rund um unsere Wohnungen beschränkt. Dass es dabei aber auch genügend schwarze Schafe gibt, die beim Spazierengehen keinen Abstand halten und die Maßnahmen generell nicht ernst nehmen, stimmt zweifelsohne und ist natürlich ärgerlich, ist aber hier auch nicht das Thema.

… sondern alle miteinand‘

Um auf den Punkt zu kommen, der insgeheim ein Semikolon ist: Gerade jetzt sollten wir mit unseren Privilegien und auch mit unserem Verhalten in sozialen Medien sorgsam und bedacht umgehen und uns nicht gegenseitig zerfleischen, weil wir vielleicht nicht sehen, dass die Lebensrealität von anderen ganz anders aussieht. Vor allem müssen wir aber aufpassen, dass uns die Überzeugung davon, dass wir uns in dieser schweren Situation richtig verhalten, während andere es vielleicht nicht tun, nicht zu militanten Moralaposteln macht, die weit über das Ziel hinausschießen. Andere darauf hinzuweisen, dass die Situation ernst ist und sie unbedingt zu Hause bleiben müssen, wenn sie können, ist gut und richtig. Auf Facebook eine gefakte Patientenverfügung zu posten, die fordert, dass all jene, die die Maßnahmen nicht ernst nehmen, auf notfallmedizinische Behandlungen verzichten sollen, wenn sie selbst der Virus trifft (ja, solche Dinge kursieren mittlerweile im Netz), zeigt hingegen, wie schockierend schnell Überzeugung in Unmenschlichkeit umschlagen kann.

Zum Abschluss daher noch ein Appell zum Mitnehmen: Schauen wir darauf, dass wir nicht von einer Spaltung in die nächste kippen, lassen wir unsere Rechtschaffenheit und unsere Solidarität nicht zu Selbstgerechtigkeit und Feindseligkeit verkommen und vor allem: Nehmen wir den gebotenen Abstand zum Anlass, um näher zusammenzurücken. In den sozialen Medien, vom Fenster aus und via Telefon. Nur auf der Straße, da bitte nicht.

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Du brauchst jetzt ein bisschen Spaß-Content? Wir haben uns angesehen, welche Isolationstypen sich momentan hervortun und was unsere Freundinnen und Freunde im Moment so treiben.

(c) Beitragsbild | Niklas Hamann | Unsplash