Mit dem „kleinen Einheimischen“ durch Innsbruck
Ich packe meinen Koffer und nehme mit: Socken, T-Shirts, Zahnbürste – und natürlich einen Reiseführer. Ja, ich weiß, Google Maps tut’s zwar auch, aber ich bin eben noch Generation Stadtplan. Außerdem hat Google Maps keine Vorschläge für Restaurants oder Ausflüge parat. Und mir das im Urlaub alles selbst zusammenzusuchen, geht schon mal gar nicht. Die Gefahr an Reiseführern ist allerdings, dass sie dich an die immer gleichen, menschenüberschwappten Plätze führen, die in den Marco-Polo-Booklets der anderen Touris ebenfalls Eselsohren tragen. Nicht unbedingt der Städtetrip im Individualstil, wie ich ihn im Sinn habe.
Zum Glück gibt’s zumindest für Innsbruck einen Stadtführer, der optimal zu meinen Hipster-Ambitionen passt. Der kleine Einheimische für Innsbruck von Nadine Schaber führt nämlich zu schnuckeligen Kaffees und coolen Spots, die noch nicht unbedingt vom Mainstream überschwemmt sind. Außerdem seid ihr nicht nur Leserinnen oder Leser, sondern zum Teil auch selbst Autorinnen oder Autoren. Ab und zu fordert euch der kleine Einheimische nämlich auf leeren Seiten dazu auf, etwa die Innsbruckerinnen und Innsbrucker nach ihren Lieblingsplatzln zu fragen und ihre Antworten aufzuschreiben oder eure eigene Postkarte zu designen. Zwischendurch gibt’s auch mal – klassisch tirolerisch – ein Speckknödelrezept oder einen kleinen Sprachführer, damit man die Speckknödel auch richtig ausspriccccckkkkkkhhhhhhhht. Aber genug der Rezensiererei: Um zu sehen, wie reisealltagstauglich der hippe Guide tatsächlich ist, habe ich mit ihm in der Hand Innsbruck gestürmt und bin einen ganzen Tag lang seinen Empfehlungen gefolgt.
Frühstück im Breakfast Club
Im Urlaub geht bei mir nichts ohne ausgiebiges Frühstück! Denn immerhin werde ich die überschüssigen Kalorien vom Eierspeis-und-Speck-Buffet sowieso gleich wieder verbrennen, wenn ich durch die Stadt marschiere. Bilde ich mir zumindest ein. Und Einbildung ist ja nach manchen Akteuren auf der weltpolitischen Bühne zu urteilen auch eine Bildungsform, also stimmt’s. Jedenfalls beschreibt Nadine Schaber den Breaktfast Club auf der Maria-Theresien-Straße als „Club des idealen Katerfrühstücks“. Klingt perfekt für mich. Verkatert bin ich zwar heute ausnahmsweise mal nicht, aber Katerfrühstück geht einfach immer. Und hier sogar all day long – also zumindest während der Öffnungszeiten von 7:30 bis 16:00 Uhr.
Schon mein erstes Date mit dem kleinen Einheimischen ist ein Treffer: Der Breakfast Club hat tatsächlich von Waffeln bis Omelettes, von Bio-Porridge bis Mehlspeisen alles, wonach der Frühstücker-Magen grummelt. Ich persönlich checke mir ein Tiroler Omelette mit Bergkäse, Speck und Zwiebeln. (Man bedenke: Ich brauche Kraftfutter für meinen unglaublich schweißtreibenden Stadtbummel!) Es schmeckt genauso gut, wie es klingt: Der Bergkäse zieht geschmolzene Fäden, mit denen die Engel im Käsehimmel wahrscheinlich die Löcher in ihren Emmentalern stopfen. Die geschlagenen Eier sind fluffig und Speck zum Frühstück ist sowieso immer eine gute Idee. Natürlich gibt’s hier auch zahlreiche Alternativen für Sich-Anders-Ernährende, wie Vegetarierinnen und Vegetarier, Veganerinnen und Veganer und auch Menschen mit Laktoseintoleranz oder Glutenunverträglichkeit. Aus dem Breakfast Club geht definitiv keiner hungrig raus.
Durch die Innenstadt zur Nordkettenbahn
Wenn ich schon mal auf der Maria-Theresien-Straße bin, bleibt mir quasi nichts anderes übrig, als in Richtung Altstadt zu schlendern. Gut, dass der kleine Einheimische auch die eine oder andere Touri-Pilgerstation wie das Goldene Dachl im Angebot hat, sie aber mit weniger bekannten Fakten und Anekdoten unterfüttert. Wusstet ihr zum Beispiel, dass es am Goldenen Dachl eine Inschrift gibt, die bis heute nicht wirklich entzifferbar ist? Oder warum sich Menschen in der Hofgasse 12, direkt hinter einem Souvenirshop, lauschend an die Wand pressen? Dort ist nämlich der sogenannte Flüsterbogen, über den man sich Nachrichten zuflüstern kann. Angeblich diente er den Wachen früher zur Kommunikation, ohne sich vom Fleck bewegen zu müssen.
Zwar flaniert es sich sehr gemütlich durch Innsbrucks hübsche Altstadt, aber ich reiße mich schließlich doch los und steuere die Nordkettenbahn an. Wenn man hier schon umgeben von Bergen ist, muss man sich die Stadt einfach mal von oben anschauen. Ich fahre also, wie von Schaber empfohlen, bis zur Station Seegrube auf 1.905 Metern Höhe. Von der Terrasse des Restaurants aus sieht man wirklich im besten Sinn auf Innsbruck herab. Geht man ein Stück des Perspektivenwegs, der hier startet, gibt’s auch eine Aussichtsplattform, die aussieht wie ein Steg. Nur dass sie nicht ins Wasser ragt, sondern ins abgründige Nichts. Spooky? Es geht noch spookier: Und zwar, wenn im Tal der Nebel hängt und sich langsam über die Köpfe der Panorama-Selfie-Schießenden hinweg Richtung Bergspitze wälzt. Fühlt sich irgendwie an, als würden gleich ein paar Dementoren auftauchen und mich nach Askerban verschleppen. Bevor das passiert, flüchte ich mich, zur Sicherheit leise den Patronus-Zauber murmelnd, zurück in die Seilbahn und bergab ins Tal.
Feinheiten shoppen
Was wäre ein Städtetrip ohne kleines Andenken? Ja, ihr ahnt es schon, jetzt gehen wir shoppen. Unter den vielen sympathischen Tipps im kleinen Einheimischen entscheide ich mich fürs Feinheiten, weil ich so ein bisschen am Inn entlang spazieren kann und mein Lunch-Stopp dort gleich ums Eck liegt. Das war definitiv die richtige Entscheidung: Hier gibt’s nämlich keine Souvenierbecher und Ansichtskarten – zum Glück! –, sondern trendige Klamotten, Schmuck, Taschen und jede Menge schnuckelige Papierwaren wie ironische Grußkarten oder coole Motiv-Stempel, die meinen nächsten misslungenen Handlettering-Versuch zumindest auf den Level eines Vorschulkindes heben werden.
Mittagspause im Café Moustache
Zwar ist meine Mittagsstation, das Café Moustache, im kleinen Einheimischen eigentlich unter Nightlife gelistet, aber ich bin einfach viel zu neugierig, um bis zum Abend zu warten: Was gibt’s denn bitte Hipstermäßigeres als gezwirbelte Bärte? Und genau diese Erwartung wird hier definitiv erfüllt: Sitzgelegenheiten im Vintage-Stil, eine ausgefallene Karte und eine musikalische Mischung aus Indie-Hip-Hop und Elektro, die den frühen Nachmittag zum sehr frühen späten Nachmittag macht. Besonders gemütlich ist auch der kleine Schanigarten, der auf den Platz vor dem Dom zu St. Jakob hinausgeht.
Während ich mein Roastbeef-Sandwich mit Gorgonzola verdrücke, blättere ich ein bisschen im kleinen Einheimischen und finde prompt eine Geschichte, die zum urbanen Lifestyle des Café Moustache passt: Anscheinend besitzt Innsbruck seine ganz eigene Kreuzritterin der sauberen Wände. Denn seit geraumer Zeit streift eine ältere Dame durch die Stadt und überpinselt Graffitis und Street-Art-Gemälde mit grauer Farbe aus ihrem Marmeladeglas. Zum Glück sind die meisten Werke von Sprayer HNRX wahrscheinlich zu groß, um sie zu übertünchen. Denn die bunten Straßenbilder, die sich durch Innsbruck ziehen, sind schon fast so etwas wie eigene Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Spezieller Museumsbesuch im Audioversum
Nach meiner Mittagspause zieht das Wetter immer stärker zu. Statt der Streetart-Oma im drohenden Regen aufzulauern, entscheide ich mich daher doch lieber für eine Indoor-Aktivität. Im Audioversum dreht sich alles ums Hören. Für 9 Euro Eintritt kann man verschiedene Geräusche erraten, in einem separaten Raum erfahren, wie sich Gehörverlust anfühlt, oder zum Beispiel die klangliche Knochenleitung austesten: Hält man sich die Ohren zu und den Kopf gegen eine der Metallnoppen, hört man plötzlich Beethovens Für Elise. Schräg! Hier gibt’s viel Interaktives zum selber Ausprobieren.
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Coffee Break im Haepinest
Zum Glück verziehen sich die Regenwolken nach einer Stunde Audio-Experimentieren dann doch wieder – also ab zum Inn-Ufer. Die Anti-Streetart-Oma habe ich zwar nicht getroffen, aber mit dem klassischen Ansichtskartenblick auf die bunten Häuserzeilen von St. Nikolaus einerseits, dem rauschenden Wasser andererseits war’s definitiv ein schöner Nachmittagswalk. Damit ich zumindest einmal am anderen Ufer des Inns war, hole ich mir zum Abschluss noch einen ausgezeichneten Kaffee im gemütlichen Haepinest auf der Innstraße. Der kleine Einheimische hat mit der „unglaublich heimeligen Wohnzimmer-Atmosphäre“ hier nicht übertrieben.
Dinner-Time im Machete
Nach dichtem Programm und ausgedehntem Fußmarsch wird’s jetzt aber doch langsam wieder Zeit, die Kaumuskeln spielen zu lassen. Also marschiere ich den Inn entlang, biege auf die Universitätsbrücke und danach direkt in die Anichstraße ab. Hier gönne ich mir nämlich im Machete einen Burrito zum Selbst-Zusammenstellen. Auf einer Karte kreuzt man zuerst die Basics an, also ob’s ein Burrito, ein kleiner Burrito oder doch ein Taco sein darf. Dann wählt man zwischen Faschiertem, Pulled Pork, Hendl oder vegetarisch. Und abschließend könnt ihr das Ganze noch mit ein paar extra Zutaten aufpeppen. Die kosten allerdings extra.
Während ich auf mein eingewickeltes Essen warte, sehe ich mich ein wenig um: „Ein kleines bisschen Berlin-Atmosphäre in Innsbruck“, steht im kleinen Einheimischen. Und tatsächlich sitze ich hier offenbar am Puls der hippen, urbanen Szene von Innsbruck. Schummriges Licht, gewollt lässige Einrichtung und eine Schlange an der Tür, die immer länger wird – irgendwie fühle ich mich wie in einer ziemlich gemütlichen Industrial-Höhle. Und dann kommt mein Essen. Sieht aber eher aus wie ein Wrap auf Anabolika. Ob ich das schaffe, diesen Burrito mit Wachstumsstörung? Klar! Immerhin schmeckt er wie der eingewickelte Schlemmer-Himmel. Das ist es definitiv wert, dass ich danach vor lauter Völlegefühl nur ganz flach atmen kann. Ein oder zwei flüssige Glücklichmacher von der Cocktailkarte helfen bestimmt.
Zum Abschluss ein Film im Leokino
Schräg vis-à-vis vom Machete ist das Leokino, eine der cineastischen Empfehlungen des kleinen Einheimischen. Nachos, Käsesauce und Popcorn wird man allerdings vergeblich suchen. Alle, die insgeheim nur ins Kino gehen, um sich den Bauch vollzuschlagen, sind hier also an der falschen Adresse. Denn hier geht’s um die wahre Würdigung des Leinwand-Flimmerns! Zumindest lässt das ein wütend wirkender „No-Popcorn“-Sticker an der Bar vermuten. Mir ist’s gleich – nach meinem überdimensionalen Burrito in der Größe eines Neugeborenen werde ich wohl noch die nächsten Tage satt sein. Kleine Snacks gibt’s an der Bar, Getränke kann man in den Gläsern mit in den Saal nehmen, ein Hauch von Nostalgie räuspert sich hinter einem der Stehtische im Foyer. Versteht sich also von selbst, dass auch Hollywood-Streifen und Rom-Com-Schinken hier fehl am Platz wären. Stattdessen bietet das Leokino alternatives Filmprogramm vom Feinsten.
Ein Film und Chips aus der Packung sind für mich das Ende meiner Tour mit dem kleinen Einheimischen. Für Party wäre ich zwar sicher noch motiviert, immerhin hat der kleine Einheimische einige spannende Tipps zum Innsbrucker Nightlife parat. Aber die heutige Mischung aus Fußmarsch und Völlerei zwingt meine Augenlider dann doch in die Knie. Der kleine Einheimische muss also am Nachttisch vom Nachtleben träumen.
Wir haben uns Innsbruck übrigens noch mal durch die Hipster-Brille angesehen. Für den Herbst in ganz Österreich inspirieren wir euch auf unserer Herbst-dahoam-Seite.
(c) Beitragsbild | Katharina Tesch | 1000things