Skurrile Jobs, die das Leben prägen: Geschichten eines Promogirls

Julia Deutsch Vom 19.03.2017
Wer nie als Tier verkleidet Flyer verteilt hat, der hat nicht richtig gelebt. Im Promotion-Bereich lernt man viel über sich selbst und über andere Menschen. Tausende Gesichter und Eindrücke prasseln in kürzester Zeit auf einen nieder - man kommt schnell mal an seine emotionalen Grenzen. Doch es ist genau die Art von skurrilem Job, von dem man noch lange später erzählen wird.

Noch als Schülerin begann ich mit Promotion- und  Hostessjobs, denn  ich war jung und brauchte das Geld dringend.  Flexible Zeiteinteilung, halbwegs okay-er Stundenlohn und Arbeit in einem engagierten Team – das klang verlockend. Unwissend und ein wenig blauäugig ließ ich mich in den Sog der Agenturen ziehen und freute mich sogar über die Herausforderung. Die Ernüchterung kam schon am ersten Arbeitstag, denn in der Realität besteht ein Promojob hauptsächlich daraus, langweilig rumzustehen und sich von Wildfremden schlecht behandeln zu lassen – im besten Fall wird man jedoch ignoriert. Ich habe Zeitungs-Abos zelebriert, sinnlose Produkte und Flyer verteilt, mich sehr oft in fragwürdige Outfits stecken lassen und das alles nur für ein paar Münzen – but hey, you gotta do, what you gotta do. 5 Jahre und 7 Arbeitgeber später fühle ich mich ein wenig gebrochen, denn ja, ich beschwere mich gerne auf sehr hohem Niveau. Hier nun ein Auszug meiner umfassenden Erfahrungen:

Die Arbeitskolleginnen

Die fallweise Angestellten im Promotion-Bereich sind so gut wie immer weiblich, ab und zu ist man mit den Arbeitskolleginnen sogar auf derselben Wellenlänge – denn der Unmut über das Establishment verbindet. Es sitzen alle im selben Boot, jedoch kommt es auf so engem Raum auch mal schnell zu Zickenkriegen. Ich selbst bin kein Fan von sinnlosen verbalen Schlagabtäuschen, das ist reine Energieverschwendung – höre ich mich denken aber nicht sagen. Denn wenn das Mädchen mit dem Nose Job die Andere mit den Schlauchboot-Lippen ankeift, hat das schon Unterhaltungswert auf RTL2 Niveau.

Entweder man sperrt sich wie manch Eine gleich in der Garderobe ein, um den furchtbaren Menschen da draußen zu entfliehen, oder man beißt die Zähne zusammen und wiederholt ein und denselben Satz immer wieder stundenlang und steht die Schicht durch. Ich für meinen Teil versuchte da schon eher, mir einen optischen Fixpunkt bei den Basic-Ballerinas meiner Kollegin zu setzen, um meinen Schwindel zu überbrücken, wenn die Partynacht davor doch ein bisschen ausgeartet ist. „Ich arbeite morgen – nur ein Spritzwein heute“, eh ein alter Hut, man kennt das ja. Unterm Strich habe ich bei diesen Jobs jedoch schon ein paar coole Menschen kennengelernt und einige meiner besten Freundinnen sind auch meine ehemaligen Arbeitskolleginnen. So in die ‚Lass uns gemeinsam davonlaufen und nie wieder zurückblicken‘ – Richtung.

Messen

Auf Publikumsmessen tummeln sich allerlei verhaltensorigineller Menschen. Es scheint eine Art Spielplatz des Grauens zu sein und ich als Promo-Girl war regelmäßig darin gefangen. Ein vorzüglicher Ort jedoch, um Sozialstudien durchzuführen und mich im Proleten-Eltern-Bingo (Copyright liegt bei meiner Wenigkeit) zu üben. Das geht so: Einfach Kindernamen gewisser ‚auffälliger‘ Personen raten und staunen, denn es ist bemerkenswert, wie häufig französische und englische Vornamen dabei vorkommen. Ein Zufall? Mit Sicherheit.

Besonders lustig war die Arbeit bei Automessen, denn ich als absoluter Technik-Noob agierte hier nach dem Prinzip ‚Fake it ‘til you make it‘. Ich verpackte die interessierten Fragen der Auto-Freaks stets in Aussagesätze, streute noch ein paar mobilitäts-angehauchte Vokabeln darüber – et voilà. Diese Vorgehensweise hat irgendwie immer funktioniert bzw. meine Unwissenheit umgehend entlarvt, sodass mich die Leute einfach in Ruhe ließen – genauso wie es mir Recht war.

Ein Highlight war jedoch Markus, Mitte 40, wohnhaft bei Mutti und arbeitssuchend, der mir versprach jetzt gleich ein Auto bei meinem Stand zu kaufen. Good for you, Markus – not so good for me, denn ich bekomme leider keine Provision auf einen Verkauf. Mitleidig wie er war, bot er mir großzügigerweise an, für ihn zu arbeiten, wenn ich hier nicht mal angemessen vergütet werden würde. Ich müsste jedoch offenherziger auftreten und bräuchte eine Webcam für den Job. Danke Markus, aber nein danke! Den Cybersex kannst du dir behalten, obwohl ich zugeben muss, dass ich die Option eine Millisekunde überdacht habe, nur um in meiner Verzweiflung der trockenen Messeluft entfliehen zu können. Seine Visitenkarte habe ich zum Spaß aufgehoben, der guten alten Vienna-Auto-Show-Zeiten wegen.

Pensionisten und Schnorrer

Oft sind es die Pensionisten, die eine Stunde vor Messebeginn, von seniler Bettflucht getrieben, an die Tore hämmern und mit ihren Trolleys anrollen, um die vielen gratis Goodies auch adäquat verstauen zu können. Heiß begehrt sind Kugelschreiber, Schlüsselketten und irgendwelcher random Papier-Schrott, der standardmäßig ‚für die Enkelkinder‘ gesammelt wird. Ja, ich bin mir sicher, dass sich ein kleiner Rotzbub über diese neun, mit ‚Installateur Ferdl, Gramatneusiedl‘ gebrandeten, Kugelschreiber freuen wird. Nämlich ungefähr so sehr, wie ich mich über das Hello Kitty Klopapier gefreut habe, das mir meine Oma zum 22.Geburtstag geschenkt hat. Ich habe mich in einsamen Arbeitsstunden schon öfter gefragt, ob es im Altersheim wohl Olympische Spiele gibt, bei denen der erfolgreichste Werbemittel-Abgreifer des Stockwerks wie ein Rockstar gefeiert wird und den Grießkoch der Verlierer abgreift?

Aber hey – Pensionisten sind nicht nur furchtbar, sie sind perfekt organisiert und noch dazu kreativ. Vor allem, wenn es um den Abtransport von gratis Nahrungsmitteln geht, da kann jeder notorische Pleite-Student noch was davon lernen. So werden schon mal die Hosentaschen mit raketenwissenschaftlicher Präzision ausgekleidet. Alufolie soll nämlich das Austreten von Safteln der Bratwürstel+Sauerkraut Kombi verhindern, die man am Folgetag gedenkt zu verspeisen. Gratis scheint generell das Zauberwort zu sein, hierfür geht der Durschnittsrentner schon mal das Risiko ein, Sauerkrautsaft in der Unterhose zu haben, eh voll legitim.

Eines späten Sommertages besuchte mich ein ortsbekannter Trangler/Sandler am Promotion-Stand, der gerade Unmengen an Schwedenbomben und Schaumrollen erworben hatte. Mit dem Kommentar „Weilst so fesch bist“ klatschte er besagte Süßigkeiten auf den Tisch und verschwand dann, inklusive seiner Alkoholfahne, wieder in der Versenkung. In der Intention den Zucker-Gatsch von der Oberfläche zu wischen drehte ich mich um. Mit Serviette in der Hand schaute ich wieder hin, die Schaumrolle jedoch war weg. Ich erspähte nur mehr wie ein vorbeigehender Pensionist, mit Enkerl auf den Schultern, sie sich genüsslich in den Mund schob.

Fragwürdige Outfits und Touren durch Dorfdiscos

Die Outfits von Promotiongirls werden von den Auftraggebern meistens eher freizügig angedacht. Die Styles spielen alle Stücke: angefangen von der sexy Bauarbeiterin, weiter zu durchsichtigen Kleidern mit Nerd-Brille bis hin zu enganliegenden Racing-Anzügen. Irgendwann stirbt die innere Feministin und man hört auf zu protestieren, es soll doch einfach nur vorbei sein.

Solche Aufzüge werden hauptsächlich dann gefährlich, wenn der Arbeitsort ins hochprozentige Milieu verlagert wird, nämlich in Nachtclubs. Manche meiner Ausflüge haben mich in die Pampa geführt, um Promotion-Aktionen in Discos in eher ruralen Gebieten durchzuführen. Am Land aufgewachsen, fühle ich mich zwischen Traktoren und Hausschlapfen beim Fortgehen sehr wohl. Jedoch wird das Koma-Saufen, wie es dort betrieben wird auch mir schnell mal zu steil, wenn sich ein Minderjähriger ein Seidl Tequila mit einer ganzen Orange reinzieht als wär’s Frucade. Komplett zerstört dann vorm Club zu liegen gehört da auch dazu, denn wer A sagt muss ja bekanntlich auch B sagen, die Menschen vom Land stehen halt noch zu ihren Taten. Das Arbeiten im Nachtleben ist nur halb lustig, ich habe über die Jahre so viel gesehen, dass ich es fast für mutig halte, dort tätig zu sein, sei es in Wien oder sonstwo. Wer dies ohne grobe Schäden übersteht verdient Ali G‘s RESTECP! Ich selbst kann jedoch darauf verzichten, dass jemand mit Muschi-Grapschern versucht, meine Aufmerksamkeit zu erhalten. Menschen sind am Ende des Tages oft leider triebgesteuerte Tiere.

Nach dieser langen Zeit und vielen crazy Erfahrungen habe ich aber beschlossen, meine Situation zu verändern, endlich mit dem Sudern aufzuhören und Taten sprechen zu lassen. Schluss mit den Promotionjobs! Um aber nicht nur Negativität zu verbreiten, haben Promotionjobs doch auch ihre guten Seiten. Man lernt viele neue Menschen kennen, kann seine kommunikativen Fähigkeiten verbessern und man entwickelt eine hohe Resistenz für Wahnsinn. Aber das Wichtigste ist, man kann selbst gratis Goodies abgreifen. Denn wenn wir uns ehrlich sind, steckt in uns allen doch derselbe kleine Schnorrer. Ich für meinen Teil habe Kugelschreiber- und Schokoladevorräte bis auf Lebzeiten und ich liebe es. Promojobs möchte ich jedoch bitte nie wieder machen müssen, nicht mal wenn sich der Kontostand wie jedes Monat gen Minus bewegt. Ich überlege mir in der Zwischenzeit was anderes und trinke meinen Wein zur Abwechslung mal daheim.

Von Jobs, die man irgendwann aufgeben sollte hin zu Dingen, vor denen man sich hüten sollte. Hier präsentieren wir euch 10 Dinge, die man in Wien lieber lassen sollte.

Beitragsbild | CC0 | gemeinfrei